Hexenstunde
zu bewahren und zu schützen, statt zu expandieren und zu entwickeln, denn wenn ein Kapital dieses Umfangs auf die richtige Weise vor Inflation und jeglicher anderen Erosion und Beeinträchtigung geschützt wird, ist seine Expansion buchstäblich unabwendbar und die Entwicklung in zahllose Richtungen ist unvermeidlich. Man ist jeden Tag mit dem Problem konfrontiert, Erträge zu investieren, die so groß sind, daß…«
»Du sprichst von Milliarden«, sagte sie in ruhigem Ton.
Lautlose Unruhe zog durch die Versammelten. Eine yankeehafte Tölpelhaftigkeit? Sie spürte keinerlei Unehrlichkeit – nur Verwirrung und Angst vor ihr und vor dem, was sie am Ende vielleicht tun würde. Schließlich waren sie Mayfairs, nicht wahr? Sie begutachteten sie, wie sie selbst es mit ihnen tat.
Aber es kam keine Antwort.
»Milliarden« wiederholte sie, »allein in Immobilien.«
»Nun, ehrlich gesagt, ja, ich muß sagen, das ist korrekt: Milliarden allein in Immobilien.«
Wie verlegen und unbehaglich sie jetzt alle dreinblickten – als sei da ein strategisches Geheimnis offenbart worden.
Sie roch plötzlich ihre Angst, den Abscheu bei Lauren Mayfair, der blonden, älteren der beiden Anwältinnen, einer Frau von etwa siebzig Jahren mit puderzarter, faltiger Haut, die sie von Ende des Tisches her beobachtete und davon überzeugt war, sie sei seicht, verwöhnt und darauf geeicht, absolut undankbar für alles zu sein, was die Firma je getan hatte. Dann war da rechts Anne Marie Mayfair, dunkelhaarig, hübsch, mindestens vierzig Jahre alt, geschickt geschminkt und elegant gekleidet in ihrem grauen Kostüm und der Bluse aus safrangelber Seide; mit unverhohlener Neugier starrte sie Rowan unverwandt durch ihre Hornbrille an, aber sie war schon sicher, daß irgendeine Katastrophe bevorstand.
Und Randall Mayfair, Cortlands Enkel, schlank, mit struppigem grauem Haarschopf und einem Hals, der wie eine weiche Wamme über seinen Kragen quoll; er saß bloß da mit schläfrigen Augen unter dichten Brauen und blaß purpurnen Lidern, nicht ängstlich, sondern wachsam und von Natur aus resigniert.
Und als ihre Blicke sich trafen, antwortete Randall ihr stumm: Natürlich verstehst du es nicht. Wie solltest du auch? Wie viele Menschen können es verstehen? Also willst du das Management übernehmen, und deshalb bist du eine Närrin.
»Ihr unterschätzt mich«, sagte sie, ohne die Stimme zu heben, und ihr Blick ging in die Runde. »Ich unterschätze euch nicht. Ich will nur wissen, um was es hier geht. Ich kann nicht passiv bleiben. Es wäre unverantwortlich, passiv zu bleiben.«
Ein paar Augenblicke lang blieb es still. Pierce hob seine Kaffeetasse und nahm einen Schluck, völlig geräuschlos.
»Wovon wir eigentlich reden«, sagte Ryan jetzt ruhig und höflich, »um hier einmal völlig praktisch zu verfahren, weißt du: Man kann in fürstlichem Luxus leben für einen Bruchteil des Ertrages aus der Investition eines Bruchteils des Ertrages aus… et cetera, wenn du verstehst, was ich meine – ohne daß das Kapital in irgendeinem Fall oder aus irgendeinem Grund angetastet…«
»Noch einmal: Ich kann nicht einfach passiv oder abwartend oder aus Nachlässigkeit ahnungslos bleiben. Ich glaube nicht, daß ich mich in dieser Weise verhalten sollte.«
Schweigen – und wieder war es Ryan, der es brach. Versöhnlich und gentlemanlike. »Was möchtest du spezifisch wissen?«
»Alles. Woraus das Vermögen besteht – bis zur letzten Schraube, sozusagen. Vielleicht sollte ich sagen, die Anatomie. Ich möchte den ganzen Körper sehen, als läge er ausgestreckt auf einem Tisch. Ich will den Organismus insgesamt studieren.«
Ein rascher Blickwechsel zwischen Randall und Ryan. Und wieder Ryan: »Nun, das ist absolut vernünftig, aber es ist vielleicht nicht so einfach, wie du es dir vorstellst…«
»Eines interessiert mich besonders«, unterbrach sie ihn. »Wieviel von diesem Geld geht in die Medizin? Sind irgendwelche medizinischen Einrichtungen dabei?«
Wie sie aufschraken. Wie eine Kriegserklärung klang das offensichtlich; das verriet zumindest die Miene Anne Marie Mayfairs, als sie erst Lauren und dann Randall anschaute. Zum erstenmal, seit sie in die Stadt gekommen war, sah Rowan bei ihr ein Stückchen unverhohlene Feindseligkeit. Die ältere Lauren drückte einen gekrümmten Finger unter ihre Unterlippe und machte schmale Augen; sie war zu kultiviert für eine so offene Darstellung ihrer Gefühle und starrte Rowan nur an; hin und wieder wanderte
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