Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
alles, was sie brauchten, selbst herstellten und von niemandem abhängig waren. Der Hollandais hatte die Wahrheit gesagt. Diese Leute hatten nichts gewonnen, als sie die Gewohnheiten der Weißen übernahmen. Sie kamen ausgezeichnet allein zurecht. Gewiss, mit ihren Gefangenen sprangen sie wie Barbaren um. Doch untereinander legten sie eine außerordentliche Großmut an den Tag, waren zärtlich zu ihren Kindern und hatten große Achtung für alles, was der Große Geist ihnen schenkte.
Die Indianer legten auch großen Wert auf den Umgang miteinander. Die Würde jedes Einzelnen war ihnen heilig. Offener Streit zwischen Mitgliedern eines Clans war selten, denn sie verurteilten die heftige Zurschaustellung von Gefühlen. Das hieß natürlich nicht, dass sie alle ein Herz und eine Seele waren. Aber Feindseligkeit drückte sich auf behutsame Art aus, und Missverständnisse wurden oft gütlich beigelegt. Mehr als ein Weißer hätte von dieser Kultur lernen können, in der Besitz und persönlicher Reichtum nicht den höchsten Wert hatten.
Tsorihia kratzte die Haut energisch ab, um alle Haare zu entfernen und sie zu glätten.
»Lebt Weißer Wolf gern mit Godasiyo?«, fragte sie plötzlich in einem Plauderton, der Alexander nicht täuschte.
»Ich lebe gern mit Godasiyo … und mit ihrer bezaubernden Tochter Tsorihia«, antwortete er und streichelte mit den Fingerspitzen ihr Knie.
Sie unterbrach ihre Arbeit. Nach einigen Sekunden fuhr sie fort.
»Tsorihia mag Weißer Wolf gern«, murmelte sie. »Aber Weißer Wolf ist Godasiyos Mann.«
Wieder verharrte die Hand mit dem Schabemesser. Tsorihia wandte dem weißen Mann ihr sanftes Gesicht zu. In den Tiefen der schwarzen Augen, die ihn anschauten, sah Alexander eine Flamme brennen, die ihn auf merkwürdige Weise an Mikwanikwe erinnerte. Das Jaulen des Windes und das Knarren der Holzbehausung, die sie beherbergte, dämpften die Gespräche der Frauen, die im Hauptkorridor mit dem Kochen beschäftigt waren. Mit den Dampfsäulen, die an den Stützbalken aus Ulmenstämmen hochstiegen, drang der fade Geruch des Breis zu ihnen. Alexander richtete sich in eine kniende Stellung auf und wollte den Vorhang aus grobem Stoff zuziehen, der die Wohnabteile abtrennte.
»Nein«, gebot ihm die junge Frau Einhalt. »Godasiyo sieht alles … Sie ist böse, wenn sie eifersüchtig ist.«
»Ist die Treue denn so wichtig bei den Irokesen? Ich habe gehört, wenn ein Mann eine andere Frau als seine Gattin begehrt und diese Frau einverstanden ist…«
»Godasiyo teilt ihren Mann nicht gern.«
»Wird sie mich etwa schlagen?«, verlangte Alexander ungläubig lächelnd zu wissen. »Wird sie mich verstoßen oder an den Marterpfahl zurückschicken?«
Tsorihia legte ihr Werkzeug weg und wandte sich ihm zu. Mit den Fingern strich sie über die Narben an seinen Beinen, ließ sie zu seinen Knien und dann auf seine Schenkel hinaufgleiten. Zitternd vor Begehren näherte er sein Gesicht dem ihren. Ihr Atem hatte das süßliche Aroma des Thuja-Baums, aus dem man eine sehr wirkungsvolle Abkochung herstellte, um den Mangel an frischem Fleisch auszugleichen.
Die junge Frau schloss die Augen, legte sanft die Lippen auf Alexanders Mund und rückte dann wieder von ihm ab. Er spürte, wie sein Herz Feuer fing. Er legte eine Hand in Tsorihias Nacken und zog sie von Neuem an sich, um sich ihrer Lippen zu bemächtigen, die sehr weich waren und leicht süß schmeckten. Das Fieber überwältigte sie, und ihre Hände erforschten den Körper des anderen. Schwer atmend warf Alexander die junge Frau auf den Boden, und sie zog ihn mit derselben Bewegung auf sich.
»Oh Gott, Tsorihia!«, murmelte er leise ins Haar der Indianerin hinein.
Als er ihr vor Erregung feuchtes Geschlecht fand, stieß sie ein schwaches Stöhnen aus. Doch dann nahm sie abrupt die Schenkel zusammen und klemmte seine noch empfindlichen Finger ein. Ein wenig verblüfft stützte er sich auf einen Ellbogen. Tsorihia starrte aus entsetzt aufgerissenen Augen auf einen Punkt irgendwo hinter ihm. Er erstarrte, denn er ahnte schon, was sie so erschreckt hatte.
Widerwillig verließ Alexander seinen Platz zwischen den wohlig warmen Schenkeln der jungen Frau und drehte sich um. Godasiyo musterte die beiden mit einer unbewegten Miene, die nichts Gutes verhieß. Vorsichtig löste sich der weiße Mann von Tsorihia, um sich seiner Frau zu stellen. Die wenigen Worte Irokesisch, die er kannte, würden nicht ausreichen, um ihr die Situation zu erklären. Er würde es
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