Himmelsdiebe
Teufel!« Voller Wut stampfte sie mit dem Fuß auf.
Dann schwang sie sich in die Lüfte und flog davon.
21
Von Ucel bis Sainte-Odile waren es keine fünfzig Kilometer. Trotzdem war es längst dunkle Nacht, als Harry ins Dorf zurückkehrte. Wie auf dem Hinweg hatte er einen großen Teil der Strecke zu Fuß hinter sich gebracht, aus Angst vor der Gestapo, die hinter jedem Baum lauern konnt e – auch mit gültigen Papieren blieb er ein sale boche , ein dreckiger Deutscher, der Freiwild war für jeden Denunzianten. Ab und zu hatte er unterwegs einen Bauern gebeten, ihn auf einem Karren mitzunehmen, doch nur ein einziges längeres Wegstück hatte er motorisiert zurückgelegt, auf der Pritsche eines alten, klapprigen Lastwagens, zusammen mit zwei desertierten französischen Soldaten, die keine Lust hatten, auf ihre Demobilisierung zu warten. Harry hatte ihnen dieselbe Geschichte aufgetischt wie den Bauern und dem Fahrer des Lasters: dass er aus dem Elsass stamme und nach vermissten Angehörigen suche. Fast glaubte er inzwischen selbst, dass er im Straßburger Münster getauft worden war und nicht im Kölner Dom.
Vom Turm der Dorfkirche läutete es Mitternacht. Müde rieb Harry sich die Augen. Er war um drei Uhr in der Frühe aufgebrochen und sehnte sich nach einem Bett. Aber bis zu seiner Berghütte war es noch ein Fußmarsch von über einer Stunde. Ob er sich bei Lulu eine Mütze Schlaf holen konnte, bevor er sich im Morgengrauen wieder auf den Weg machte? In dem Bistro brannte noch Licht.
Er überquerte gerade den Dorfplatz, da ging von innen die Tür auf. Obwohl er nur die Silhouette des Mannes sah, der aus dem Haus trat, erkannte er ihn sofort: Pep e – ausgerechnet!
Plötzlich war Harry wieder hellwach. Vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, duckte er sich hinter Maître Simons Cabriolet, das mit offenem Verdeck vor der Kneipe stand. Während er sich wunderte, dass der Notar selbst in diesen Zeiten den Schlüssel im Zündschloss stecken ließ, knöpfte Pepe sich den Hosenlatz auf. Freudig grunzend, als hätte er soeben ein Trinkgeld bekommen, strullte er gegen einen Baum. Harry kam es vor wie eine Ewigkeit. Der Scheißkerl hatte eine Blase wie ein Pferd.
Als Pepe endlich fertig war, wartete Harry, bis er in der Dunkelheit verschwunden war. Dann huschte er über den menschenleeren Platz zu der hell erleuchteten Kneipe. Zu seiner Erleichterung sah er durchs Fenster, dass nur noch seine zwei Wohltäter in der Schankstube waren, Lulu und Maître Simon. Die beiden beugten sich gerade über ein Rechnungsbuch und verglichen irgendwelche Zahlen. Bei ihrem Anblick fühlte er sich, als käme er aus dem Krieg heim. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er mal einer Kneipenwirtin und einem Provinzadvokaten sein Leben verdanken würde. Ob er ihnen ein paar Bilder zum Abschied schenken sollte? Lulu würde zwar kaum was damit anfangen können, und auch bei Maître Simon hatte er seine Zweifel. Aber manchmal kam es einfach nur auf die Geste an.
»Nein, damit bin ich nicht einverstanden!«, zischte Lulu. »Nur über meine Leiche!«
Harry wunderte sich über den scharfen Ton und spitzte die Ohren. Offenbar stritten sich die beide n – aber worüber? Obwohl er sich nicht aus dem Schatten wagte, verstand er jedes Wort. Lulu hatte das Fenster bereits geöffnet, um zur Nacht zu lüften.
»Der Sou-Präfekt hat dreihundert Franc Schmiergeld verlangt«, sagte Maître Simon. »Die habe ich ausgelegt! Also müssen wir die auch verrechnen! Ganz abgesehen von meinen Anwaltskosten in der Praxis.«
»Und die hundert Franc, die ich Laura gegeben habe? Was ist damit?«
»Dagegen stehen zweihundert Franc, die ich für die Soldaten brauchte.«
»Ich will meinen gerechten Anteil! Sie haben schließlich das ganze Haus gekriegt. Da lasse ich mich nicht mit einem Trinkgeld abspeisen! Eher verrate ich Harry, dass Sie dafür gesorgt haben, dass er nicht aus dem Lager kam.«
»Ja und? Glauben Sie, ich hätte Angst vor einem entsprungenen boche ? Ein Wort an die Gestap o – und der Herr Künstler verschwindet heim ins Reich! Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir ihn sowieso gleich anzeigen sollen, als er wieder zurückkam. Aber Sie mussten ihn ja unbedingt in Ihrer Hütte verstecken!«
»Er tat mir lei d – können Sie das nicht verstehen? Schließlich waren wir mal Freunde.« Lulu nahm ihre Brille ab und rieb sich die Augen. »Ach, hätten wir erst gar nicht damit angefangen. So ein nettes Pärchen.«
»Jetzt werden Sie nicht
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