Himmelsdiebe
doch nachdem Debbie es Mr. Jennings in der ihr eigenen unmissverständlichen Art erklärt hatte, glaubte es sogar der Vizekonsul. Ohne zu murren, hatte er angeordnet, das Dokument, das zugleich als Ersatz für Harrys verlorenen Pass gelten würde, unverzüglich auszustellen. Debbie hatte sogar schon zwei Plätze auf einem amerikanischen Clipper gebucht, der dreimal pro Woche von Lissabon nach New York flog. Harrys Ticket hatte ursprünglich einem rumänischen Dichter gehört, aber als sich herausgestellt hatte, dass die rumänische Einwanderungsquote in den Vereinigten Staaten schon für zwei Jahre ausgeschöpft war, hatte der arme Teufel sich schließlich gefreut, dass Debbie bereit war, ihm das Ticket für denselben Preis abzukaufen, den er vor Monaten dafür bezahlt hatte.
»Müssen Sie unbedingt rauchen?«, fragte die Frau im Abteil mit säuerlichem Gesicht.
»Das hier ist ein Nichtraucher!«, fügte ihr Ehemann halb entschuldigend hinzu.
»Oh pardon«, erwiderte Harry. »Das habe ich nicht gewusst.«
Eilig drückte er seine Zigarette aus und fächelte mit der Hand den Rauch fort. Das würde ihm gerade noch fehlen, dass sich jemand beim Zugpersonal beschwerte und die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Bis zuletzt hatte er gehofft, er könne zusammen mit Debbie aus Frankreich ausreisen. In ihrem rosafarbenen Straßenkreuzer hätte man ihn kaum kontrollier t – Debbie brauchte ja nur einmal mit ihrem amerikanischen Pass zu wedeln, und schon knallten alle Beamten dieser Welt die Hacken zusammen. Doch so weit ging ihre Liebe nun auch wieder nicht. Sie war mit dem Auto vorausgefahren, um in Spanien ein paar Bilder für ihr Museum zu kaufen. Ihre Kunstbegeisterung hatte ihr nicht erlaubt zu warten, bis seine neuen Papiere fertig waren.
»Alles aussteigen! Endstation!«
»Oh, sind wir schon da?«
Ein Schaffner öffnete die Tür des Abteils und forderte Harry zusammen mit dem Ehepaar auf, den Zug zu verlassen.
»Und das Gepäck nicht vergessen!«
Campfranc hieß das Nest, wie Harry über dem Eingang des Bahnhofsgebäudes la s – das letzte französische Dorf vor der spanischen Grenze. War das der Ort, an dem sich sein Schicksal entschied? Als er seinen Koffer über den Bahnsteig in Richtung Zollstation schleppte, sah er voller Neid eine streunende Katze, die unbehelligt von den Zöllnern unter dem Schlagbaum hindurchhuschte, um von Frankreich nach Spanien hinüberzuwechsel n – einfach so, nur weil sie gerade Lust dazu hatte. Das dumme Vieh ahnte ja nicht, wie glücklich es war!
»Ihren Pass«, sagte der Grenzbeamte, als Harry im Zollhaus an die Reihe kam.
»Natürlich. Sofort.«
Mit schwitzigen Händen holte er seine Dokumente hervor. Warum zum Himmel war er nur so nervös? Sein Visum trug doch die schönsten amerikanischen Stempel, die man sich nur wünschen konnte.
»Das ist kein Pass, das ist ein Visum«, sagte der Beamte. Bevor Harry etwas erwidern konnte, reichte der Grenzer das Dokument einem Kollegen und schickte ihn damit zum Bahnhofsvorsteher. Dann wandte er sich wieder an Harry. »Öffnen Sie den Koffer!«
Unter den neugierigen Blicken des Ehepaars, das die Kontrolle bereits überstanden hatte, kam Harry der Aufforderung nach. Seine Hände waren inzwischen nicht nur klitschnass von Schweiß, sie zitterten auch noch wie Espenlaub.
»Was ist das?« Misstrauisch zeigte der Beamte auf ein paar Farbtuben, die Harry zwischen seiner Unterwäsche in einem Beutel verstaut hatte. »Sprengstoff?«
»Wo denken Sie hi n – nein!«
»Was dann?«
»Malzeug! Einen Moment, ich kann es beweisen!«
Während sich immer mehr Schaulustige um ihn scharten, griff Harry nach dem Beutel. Ein paar Schreckensschreie wurden laut, als er die Schnürung löste. Er hatte nur eine Möglichkeit, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er musste malen! Rasch öffnete er ein paar Tuben und nahm ein Stück Karton, das auf dem Boden lag. Als er zum Pinsel griff, hatte er keine Ahnung, mit welchem Motiv er den Beamten am ehesten für sich gewinnen konnte? Vielleicht mit einem Porträt von Maréchal Pétain? Er wusste nur, das Bild, das er in den nächsten Minuten auf dieses schäbige Stück Karton brachte, hier auf diesem gottverlassenen Bahnhof im Niemandsland zwischen Frankreich und Spanien, war vielleicht das wichtigste Bild seines Lebens.
»Ein Künstler!«, rief eine Frau, kaum dass die ersten Konturen sichtbar wurden.
»Wahrhaftig! Ein wirklicher Künstler!«
Ein paar Dutzend Fahrgäste umringten ihn inzwischen. Mit
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