Himmlische Leidenschaft
einfach nicht aufhören zu weinen.« »Das verlangt doch auch niemand von dir.«
»Aber ... aber ich ... ich weine sonst nie.«
»Ich werde es keinem sagen, wenn du es nicht tust.«
Sie gab einen Laut von sich, der ein Lachen oder ein Schluchzen oder auch beides zusammen hätte sein können.
Und dann flossen neue Tränen.
»Es ist einfach nicht fair«, stieß Sarah nach einer Weile erstickt hervor. »Was meinst du?«
»Daß du hinausgehen mußtest und ... und ...«
»Besser ich als Conner«, erwiderte Case. »Er hat noch nicht die Geduld dafür.«
»G-Geduld?«
»Ja. Das war der Grund für die lange Stille. Einer der Culpeppers hat versucht, meine Geduld zu erschöpfen.«
»War es Ab?« Sie bemühte sich, die Hoffnung aus ihrer Stimme herauszuhalten, und konnte es doch nicht.
»Nein. Aber der Bursche war gerissen. Die Culpeppers mögen zwar nichts taugen, wenn es um Freundlichkeit und Anstand geht, aber kämpfen können sie wie die Teufel.«
Ein Zittern durchlief Sarah.
»Conner«, flüsterte sie. »Ab wird ihn umbringen. Mein Gott, was soll ich nur tun?«
»Nimm deinen Bruder und verlaß den Lost River Canyon«, erwiderte Case kurz und bündig.
»Ich habe kein ...« Ihre Stimme brach.
Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte.
»Ich habe kein Geld, um Conner wegzuschicken«, sagte sie in schmerzerfülltem Ton.
»Er ist groß genug, um sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.«
Wieder rannen Tränen über ihr Gesicht. Sie schüttelte den Kopf in einer Mischung aus Erschöpfung und Akzeptanz. Als sie erneut sprach, war ihre Stimme so ruhig wie der Fluß ihrer Tränen.
»Conner wird nicht fortgehen und mich hier allein zurücklassen«, erklärte sie. »Ich habe es schon mehrmals versucht.«
»Dann geh mit ihm.« »Und was soll ich dann tun? Lolas Gewerbe ausüben?«
Cases Augenlider zuckten. »Es gibt genügend andere Arten von Arbeit.«
Sie lachte trostlos. »Nicht für ein Mädchen, das nichts weiter besitzt als die Kleider auf seinem Leib.«
»Du könntest heiraten und ...«
»Nein«, unterbrach Sarah ihn rüde. »Ich werde nie wieder einen Ehemann ertragen. Niemals.«
Case wollte schon darauf hinweisen, daß nicht alle Männer so schwer zu ertragen seien, wie es ihr verstorbener Ehemann offensichtlich gewesen war, entschied dann jedoch, daß es keinen Zweck hatte.
Es wäre das gleiche, als würde ihm jemand raten, sich eine Ehefrau zu nehmen und eine Familie zu gründen, weil nicht alle Kinder brutal von Banditen gefoltert und getötet wurden.
Das stimmte soweit. Aber Case hatte auch den Rest der Wahrheit erfahren.
Einige Kinder starben.
»In Ordnung«, sagte er. »Dann wirf Conner einfach raus.«
»Das kann ich nicht.«
»Du meinst, du willst es nicht.«
Müde rieb sich Sarah über die Stirn. Sie fühlte sich nicht imstande, Case zu erklären, daß sie die Hälfte der Lost River Ranch an Conner überschrieben hatte, als er dreizehn gewesen war.
Case würde sich fragen, warum.
Und das war etwas, worüber sie niemals gesprochen hatte, mit keinem Menschen.
Großer Gott, dachte sie. Was für ein Wirrwarr. Warum mußten sich diese verdammten Banditen ausgerechnet hier niederlassen?
Es gab keine Antwort.
Sie erwartete auch keine, ebensowenig wie sie erwartete, jemals zu wissen, warum sie und Conner die Flutkatastrophe überlebt hatten, bei der der Rest ihrer Familie den Tod gefunden hatte.
Das Warum spielt keine Rolle, sagte sie sich wie schon so viele Male zuvor. Alles, was zählt, ist das Hier und Jetzt. Nicht das, was war und was vielleicht hätte sein können.
»Ich liebe die Lost River Ranch mehr als alles andere auf der Welt, abgesehen von meinem Bruder«, erklärte Sarah ruhig. »Sobald ich das spanische Silber gefunden habe und Conner auf eine Schule im Osten schicke, wird alles gut sein.«
Case zögerte. Es fiel ihm schwer, sich den hitzköpfigen, mageren Jungen im Klassenraum einer teuren Schule vorzustellen, während er lateinische Verben konjugierte und Multiplikationstabellen auswendig lernte.
»Und was hält Conner von deinem Plan?«
»Das ist nicht wichtig. Er wird zur Schule gehen, und damit basta.«
Case öffnete den Mund, um sie darauf hinzuweisen, daß ihr Bruder in einem Alter war, wo er eigene Entscheidungen treffen konnte, doch dann zuckte er die Achseln. Sarah würde schon von allein darauf kommen, sobald sie Conner dazu zu zwingen versuchte, etwas zu tun, was er nicht wirklich wollte.
»Was, wenn du das Silber nicht findest?«
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