Hinter der Nacht (German Edition)
überrumpelt von seiner Frage.
Sein Blick
verfinsterte sich wieder, und mit einer Handbewegung schnitt er mir die Antwort
ab. „Schon gut. War ´ne blöde Frage. Aber du musst trotzdem die Augen
schließen und sie erst wieder öffnen, wenn ich es dir sage.“
Schlagartig
wusste ich die Antwort auf seine Frage, als mir bewusst wurde, dass ich ganz
allein mit diesem zwielichtigen Jungen, der vor allem durch seine extremen
Stimmungsschwankungen und häufige Grobheit auffiel, an irgendeinem Ort mitten
im Nichts war. Und niemand davon wusste. Natürlich vertraute ich ihm absolut nicht.
„Warum sollte
ich?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
„Weil ein echter
Geheimplatz auch einen geheimen Zugang hat“, war seine Antwort. „Mach einfach
die Augen zu. Ich führe dich.“ Er streckte mir seine Hand entgegen.
Meine Gedanken
wirbelten durcheinander. Wenn er Böses mit mir im Sinn hatte, wäre ich ihm
total ausgeliefert. Hier allein in der Wildnis könnte er alles mit mir tun. Ich
musste verrückt gewesen sein, überhaupt mit ihm irgendwohin zu fahren – mit
einem Jungen, den ich noch vor kurzem für den abschreckendsten Typen gehalten
hatte, dem ich je begegnet war. Aber dann merkte ich auf einmal, wie absurd ich
mich benahm. Er war zwar nicht besonders umgänglich, hatte mir aber bisher nie
einen Anlass gegeben, ihm zu misstrauen. Er hatte mir nichts getan, und über
seinen Lebenswandel war er mir keinerlei Rechenschaft schuldig. Und so abschreckend
war er nun auch wieder nicht…
Langsam und mit
einem Herzklopfen, das plötzlich nichts mehr mit mangelndem Vertrauen zu tun
hatte, streckte ich ihm meine Hand entgegen. Dann schloss ich die Augen. Seine
Finger umschlossen die meinen, wobei ich nicht unterscheiden konnte, ob das Beben
von ihm oder von mir kam. Die Veränderung war sofort deutlich spürbar. Als
hätte sich ein Stromkreis geschlossen. Wir zuckten beide zusammen, ließen
jedoch nicht los. Dann zog er mich vorwärts.
Ich fühlte, wie
wir über unebenen Waldboden liefen. Manchmal machte er kleine Schlenker, wich
wahrscheinlich Bäumen oder anderen Hindernissen aus. Ab und zu warnte er mich
vor einer Wurzel oder einem Stein, der im Weg lag. Wie vorhin auf dem Motorrad
fühlte ich mich trotz geschlossener Augen an seiner Hand sicher.
Nichtsdestoweniger musste ich hart gegen die Versuchung ankämpfen, sie
zwischendurch heimlich zu öffnen.
Nach einer
Weile, deren Dauer ich unmöglich abschätzen konnte – an Ariks Hand schien die
Zeit jede Bedeutung zu verlieren – blieb er plötzlich unvermittelt stehen, und
ich prallte gegen ihn. „Du darfst die Augen jetzt öffnen“, sagte er mit rauer
Stimme. Sein warmer Atem streifte mein Gesicht, und ein Schauer lief mir den
Rücken hinunter. Dann ließ er meine Hand los, und auf einmal war die Dunkelheit
unerträglich. Rasch riss ich die Augen auf und sah mich um.
Wir standen am
Ufer eines kleinen Sees mit schwarz schimmerndem Wasser. Rund um uns befanden
sich die uralten Bäume, die ich schon vorher gesehen hatte. Ihre Wurzeln
reichten teilweise bis ans Ufer. Ein oder zwei Meter vom Ufer entfernt lag ein
riesiger verwitterter Findling, gegen den sanft das Wasser plätscherte. Außer
diesem Geräusch herrschte absolute Stille. Wie in einem Märchenwald. Ich war
sofort verzaubert. Hier hätte ich mir sogar Feen oder andere Fabelwesen
vorstellen können.
Erst jetzt
erinnerte ich mich wieder daran, dass ich nicht allein hier war und blickte
mich suchend nach Arik um. Er stand neben mir und beobachtete mich.
„Wo sind wir
hier?“, fragte ich leise. Irgendwie schien mir jeder laute Ton, der die Stille
durchbrechen könnte, falsch zu sein.
„Gefällt es
dir?“, fragte er zurück, ebenso leise.
„Es ist
wunderschön“, entgegnete ich. „Als wären wir in einer anderen Welt.“ Ein
undeutbarer Ausdruck trat in seine Augen, mit denen er mich betrachtete. Ich
konnte meinen Blick nur schwer von ihnen losreißen. Irgendetwas ging dort
drinnen vor, hinter dem schwarzen Vorhang. Ich hätte zu gern gewusst, was.
„Vielleicht liegt es daran, dass es hier so dunkel ist. Kommt mir mehr wie
Abend vor, nicht wie früher Nachmittag.“
„Liegt
wahrscheinlich an den Bäumen.“
„Möglich“,
stimmte ich zu, nicht ganz überzeugt. Ich versuchte, einen Blick auf den Himmel
zu werfen, aber die dichten Äste versperrten mir den Blick. Sie überragten den
See so weit, dass wir von unserer Position aus nicht viel sehen konnten. Alles
war in gleichmäßiges
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