Hinter der Nacht (German Edition)
tat.
Sondern nur, was ich war.
Und deswegen
weiß ich nun, dass ich es sein muss, auf dessen Spur sie sind. Ich bin
derjenige, auf den sie es abgesehen haben. Es kann nur Zufall gewesen sein,
dass sie stattdessen Clarissa erwischt haben.
Mike behält
seine drohende Pose bei. „Also, ich frage dich noch mal: Was sind das für
Kerle? Was hast du mit ihnen zu schaffen? Und was haben sie jetzt mit Clarissa
vor?“
Das frage ich
mich auch. „Ich weiß es nicht.“ Plötzlich ist mir übel.
Mike platzt der
Kragen. „Dann sag mir wenigstens, was wir tun können, verdammt! Während wir
hier in aller Ruhe palavern, sind die längst über alle Berge!“
„Nichts!Wir
können gar nichts tun!“, fahre ich ihn an. Leiser setze ich hinzu: „Das muss
ich alleine klären.“
„Das könnte dir
so passen!“, zischt Mike. „Und dann machst du dich aus dem Staub! Ist ja deine
Spezialität! Clarissa ist dir doch scheißegal!“
Das hat
gesessen. Betroffen suche ich nach einer passenden Entgegnung, finde aber
keine. Mike wendet sich mit einem letzten, verächtlichen Blick von mir ab und
seinem Handy zu. Er tippt eine Nummer ein. Sie ist sehr kurz.
Mir ist klar,
dass Clarissa damit kein bisschen geholfen ist. Dieses Problem kann keine
Polizei der Welt lösen. Das muss ich schon selbst in die Hand nehmen. Auch wenn
ich weiß, dass meine Chancen äußerst gering sind.
Clarissa ist
dir doch scheißegal! Mikes Vorwurf hallt in meinem Kopf wider, als ich mich
ohne Abschied vom Schauplatz der Ereignisse entferne. Er kommt der Wahrheit
gefährlich nah – und liegt gleichzeitig völlig daneben. Sie sollte mir
egal sein. So wie alle anderen. Aber sie ist es nicht. Im Gegenteil – ich
empfinde viel zu viel für sie. Und gerade darin besteht meine Schuld.
Während ich mich
auf das Wesentliche hätte konzentrieren sollen, habe ich mich von meinen
Gefühlen für sie verführen und einfangen lassen. Unpassenden, zerstörerischen, menschlichen Gefühlen. Ich bin um nichts besser als meine Vorfahren, mit denen dieses
Unglück begonnen hat. Wie sie habe auch ich mich von meinen Gefühlen hinreißen
lassen, statt den Geboten zu folgen. Dabei hätte gerade ich es besser wissen
sollen. Denn nur wegen solcher Gefühle bin ich, was ich bin - eine verdammte
Missgeburt, viel mehr Mensch, als ich sein will. Es ist ein Fehler gewesen,
mich überhaupt auf Clarissa einzulassen. Ich habe es von Anfang an gewusst, und
trotzdem habe ich es getan. Verdammter Schwächling, der ich bin! Und jetzt
bekomme ich die Quittung dafür.
Doch bei aller
Reue – es ist nicht mein Schicksal, mit dem ich hadere. Ich habe
verdient, was mir jetzt bevorsteht. Ich habe kein Recht auf dieses Leben. Habe
es nie gehabt. Und es ist pures Glück gewesen, dass die Wächter mich bisher in
Ruhe gelassen haben. Pures, unverdientes Glück. Es ist an der Zeit, mich ihnen
zu stellen und das zu bekommen, was ich verdiene. Ich hoffe nur, dass ich sie
finden werde, bevor es zu spät ist. Denn wenn ich es auch verdient habe
– Clarissa ist ein anderer Fall.
Der Gedanke,
dass sie jetzt in ihrer Gewalt ist, senkt sich bleischwer auf mich. Auch
wenn sie ein Mensch ist, der getan hat, was sie getan hat, hat sie nichts Böses
in sich. Im Gegensatz zu mir. Ich bin es ihr schuldig, sie da rauszuholen.
Wie sich
herausstellt, ist es nicht besonders schwierig, ihre Spur zu finden. Es scheint
fast so, als wollten Clarissas Entführer, dass ich ihnen folge. Und irgendwie
macht das ja auch Sinn. Egal, ob sie Clarissa aus Versehen mitgenommen haben
oder nicht – jetzt, wo sie sie einmal haben, ist sie der beste Köder, den man
sich denken kann. Vorausgesetzt, sie wissen, wer sie ist, und dass sie etwas
mit mir zu tun hat. Aber davon kann ich wohl ausgehen. Die Wächter wissen
eigentlich immer, was sie tun. Und sie sind äußerst gut darin.
Ich finde die
Spuren ihres Fahrzeugs ohne Schwierigkeiten hinter einem großen Rhododendron am
Rand des Parks. Mein Motorrad steht nur eine Straße weiter, und im Nu bin ich
mit ihm zurück. Da ich die Spuren auf dem Boden noch sehen kann, ist ihre
Richtung klar, und ich beschleunige rasch. Ohne Beiwagen bin ich schneller als
sie, und so sollte es nicht allzu schwierig sein, sie einzuholen. Schon bald erblicke
ich in der Ferne eine dahinjagende Maschine und steigere mein Tempo.
Wenn es sich um
eine normale Verfolgungsjagd gehandelt hätte, hätte ich mir die Mühe gespart.
Ich hätte die Entführer mit ihrem Opfer einfach bei dem Rhododendron
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