HISTORICAL BAND 295
stattdessen?“
„Ich möchte etwas aufbauen, das von Dauer sein kann.“
„Aus den Ruinen, die der Krieg hinterlassen hat?“
„Ja, warum nicht?“ Er hielt kurz inne. „Du und ich können es gemeinsam schaffen.“
„Ich? Bin ich nicht bloß eine Leibeigene?“
„Du bist mehr als das, und das weißt du.“ Er zog sie zu sich heran. „Es soll keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben.“
Weder sein Gesichtsausdruck noch sein Tonfall hatte etwas Spöttisches an sich. Er beugte sich vor und küsste sie sehr sanft. Elgiva schloss die Augen. Keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen? Wie sehr wünschte sie, dass das möglich wäre. Aber wie könnte sie ihm ein solches Versprechen geben? Konnte sie ihm sagen, dass sie Kontakt mit Aylwin gehabt hatte? Wenn er die Wahrheit herausfand, wäre die Zuneigung, die er ihr gegenüber empfand, sofort vergessen, und schlimmer noch, er würde Vergeltung üben. Selbst wenn er sie am Leben lassen sollte, würde er ihr nie wieder vertrauen. Und was bliebe dann noch zwischen ihnen? Ein Schaudern durchfuhr sie.
Wulfrum sah sie an. „Hab keine Angst, Elgiva. Es wird alles gut werden.“
Sie wünschte, sie könnte ihm glauben, aber in Wahrheit wurde ihr übel vor Angst.
Später am Tag erzählte sie Osgifu von Aylwin. Ihre Freundin nahm die Nachricht mit Schrecken zur Kenntnis.
„Er hätte niemals herkommen dürfen. Gott behüte, dass die Dänen davon erfahren!“
„Gott behüte, dass er wirklich so dumm ist, eine Revolte anzuführen. Die Dänen werden ihn und seine Leute bis zum letzten Mann abschlachten.“
„Ganz gewiss“, pflichtete Osgifu ihr bei. „Und was wirst du tun?“
„Gar nichts.“ Elgiva seufzte. Wenn sie etwas sagte, übte sie Verrat an ihren Landsleuten. Sagte sie nichts, hinterging sie ihren Ehemann. Sie wusste nicht, wem gegenüber sie loyal sein sollte. Vor allem fürchtete sie sich davor, mit Wulfrum allein zu sein, weil sie ihm dann vorspielen musste, dass alles in Ordnung wäre, obwohl sie doch wusste, es war eine Lüge. Er war ein scharfsinniger Mann, und wenn sie nicht völlig überzeugend auftrat, würde er ihr schnell anmerken, dass etwas nicht stimmte. Er war ihr Ehemann, und er hatte ihr in gewissem Maß sein Vertrauen geschenkt. Dass sie dieses Vertrauen missbrauchte, versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie hätte nicht gedacht, dass der Schmerz sie so tief treffen könnte.
Falls Wulfrum an ihrem Verhalten irgendetwas aufgefallen war, äußerte er sich jedenfalls nicht dazu. Aber da das Wetter so günstig für die Arbeiten war, hatte er ohnehin genug zu tun und keine Zeit, sie genauer zu beobachten. Unter seiner Aufsicht kehrte Ravenswood allmählich zu alter Blüte zurück. Die Gebäude wurden instand gesetzt und Zäune ausgebessert. Das Getreide reifte auf den Feldern heran, Lämmer und Kälber grasten mit ihren Muttertieren auf der Weide. Dahinter erstreckte sich das grüne Laubdach der Wälder.
Das gute Wetter lockte auch Elgiva nach draußen, und gemeinsam mit Osgifu erledigte sie viele Arbeiten im Freien, wo sie den wärmenden Sonnenschein genießen konnten. Einige Male unternahmen sie Ausflüge in den Wald, um weitere Heilpflanzen zu sammeln. Wulfrum hatte nie etwas dagegen einzuwenden, gab ihnen aber jedes Mal einen seiner Männer mit. Elgiva fühlte sich dadurch immer wieder aufs Neue daran erinnert, wer das Sagen hatte. Dennoch ließ sie sich nicht anmerken, wie sehr sie dieser ständige Begleiter störte, zumal sie wusste, jeder Protest würde vergebens sein. Stattdessen widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit ihren Aufgaben. Mit keinem Wort ließ sie verlauten, dass in den Wäldern mehr zu finden sein könnte als Heilpflanzen.
Dieses beständige falsche Spiel lastete jedoch schwer auf ihr, und sie schlief immer schlechter. In der schwülen dunklen Kammer lag sie oft hellwach im Bett, während sich ihre Gedanken überschlugen. Dabei lauschte sie Wulfrums ruhige, n gleichmäßigen Atemzügen. Sie war nass geschwitzt, was nicht zuletzt an seiner Nähe lag. Einerseits sehnte sie sich danach, von ihm berührt zu werden, andererseits fürchtete sie sich davor. Nach langem Drehen und Wenden schlummerte sie irgendwann für ein paar Stunden ein, nur um sich beim Aufwachen wie gerädert zu fühlen.
Unweigerlich wachte sie spätestens bei Sonnenaufgang auf. An einem dieser Morgen war die Hitze im Gemach so erdrückend, dass Elgiva einfach aufstehen musste. Um Wulfrum nicht zu wecken, zog sie sich leise an. Dann schlich sie sich nach
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