HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
doch nicht von ihren Freunden und Nachbarn entfremden.
Wieder ging sie vom Fenster fort und ließ sich entmutigt auf einer der Bänke nieder. Das ist nicht gut, erkannte sie. Um Varina und den Kindern nicht zu schaden, sollte sie die Stadt schnellstens verlassen.
Der Sturm brach jetzt mit voller Kraft über Miner’s Gulch herein. Schwere Donnerschläge hallten über dem Ort. Ich werde bleiben, bis sich der Sturm gelegt hat und die Straßen trocken sind, entschied Sarah – und bis Donovan zurückgekehrt ist und sich um Varina und ihren Nachwuchs kümmern kann. Dann packe ich den Koffer, miete ein Gespann und verlasse Miner’s Gulch.
Sarah lächelte bitter. Welch eine Ironie? Da hatte sie beschlossen, in Miner’s Gulch zu bleiben und sich Donovans Zorn sowie den Einwohnern widersetzt, die ihr übel wollten. Doch Varinas unumstößlicher Freundschaft hatte sie nichts entgegenzusetzen.
Sechs Meilen vor Central City kam das Fuhrwerk hügelabwärts in einer Biegung voller Matsch ins Schleudern. Donovan fluchte, als das hintere Ende des Wagens ausschlug, vom Weg herunterrutschte und gegen einen schweinegroßen Findling krachte. Das nervtötende Krachen, das zu hören war, konnte nur von einem splitternden Rad stammen.
Donovan kletterte vom Sitz herunter, Regen triefte ihm vom Hut und als Rinnsal über den Poncho aus Ölzeug. Seine Flüche hätten jeden Zuhörer rot werden lassen, vor allem als er feststellte, dass MacIntyre vergessen hatte, ein Reserverad in die Wagenbox zu legen.
Schon den ganzen Nachmittag hatte er an das heiße Bad gedacht, ein prächtiges Essen und ein warmes, trockenes Bett. Aber er konnte die Pferde nicht die ganze Nacht in der eisigen Kälte im Freien stehen lassen. Entweder musste er sie ausspannen und mit ihnen den restlichen Weg zur City zurücklegen oder mit einem der ungesattelten Pferde hinreiten, ein Rad kaufen und damit zurückkehren, um das ganze Gespann hinzubringen. In seiner Lage, er war durch den Regen bis auf die Knochen durchgefroren, waren beide Möglichkeiten wenig reizvoll.
Donovan stand am Wegesrand, schimpfte und wog seine Möglichkeiten ab, als ein Zweisitzer mit zwei Pferden davor schneidig aus einem Seitenpfad herangerollt kam. Donovans erster Impuls war, nach dem Gewehr zu greifen, das er unter dem Sitz aufbewahrte. Aber nein, alles war in Ordnung. Der Fahrer rief ihm etwas zu, er war offen und freundlich.
„O je.“ Der Fremde hielt neben ihm. Er trug einen schwarzen Hut und einen für Seeleute typischen Regenmantel, ein ungewöhnlicher Anblick in diesem Teil des Landes. Unter der Hutkrempe, die voller Wasser stand, war ein kantiges Gesicht mit Backenbart zu erkennen.
„Sieht aus, als ob Sie Pech hatten, das tut mir leid.“ In diesem Land wies die Sprache eines Menschen ihn als Freund oder Feind aus. Doch Donovan hatte den Akzent dieses Fremden noch nie gehört. Das war weder Cockney noch sauberes Englisch, weder Schottisch noch Irisch – und bestimmt nicht Amerikanisch.
Aber jetzt war keine Zeit für Nebensächlichkeiten. Sein Wagen lag halb auf der Seite, die Pferde schnaubten verstört, und es schüttete wie aus Kübeln.
„Pech? Das können Sie wohl sagen.“ Donovan nickte langsam.
„Das Rad, wie ich sehe.“ Mit seinen braunen Augen betrachtete der Fremde den beschädigten Karren. „Wo ist das Ersatzrad?“
„Fragen Sie den Idioten, der mir das Fuhrwerk vermietet hat.“
„Kein Grund, sich aufzuregen, mein Sohn.“ Der Fremde kletterte schon von seinem Fahrzeug herunter. Er war nicht groß, strahlte aber drahtige Kraft aus und vermittelte den Eindruck von Stärke und Fachkenntnis. „Ich habe ein Rad dabei, das müsste passen.“
Donovan blickte ihn durch den Regenschleier an, den das Wasser bildete, das unablässig von seiner Hutkrempe herunterfloss. „Ich werde es Ihnen abkaufen. Was soll es kosten?“
„Ich kann es nicht verkaufen, weil es mir nicht gehört. Der Wagen gehört einer Gesellschaft. Aber ich leihe Ihnen das Rad, damit Sie mit Ihrem Fuhrwerk in die Stadt hineinkommen. Warten Sie, ich habe auch Werkzeug dabei. Ich werde Ihnen beim Austausch helfen.“
„Nur wenn ich Sie heute Abend im Hotel zum Essen einladen darf.“
„Essen? Das ist eine gute Idee.“ Der Fremde lächelte freundlich. Dann ging er zur Rückseite seines Zweispänners und kramte in der Box herum, die dort angebracht war.
Jetzt erst entdeckte Donovan den roten Schriftzug an der Seite der Wagenbox. Er wischte das Regenwasser fort und las: Boston & Colorado
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