HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
eines davon erschreckend klein. Bündel von Lumpen lagen verstreut auf dem Boden herum, und Kathryn hütete sich davor, herauszufinden, was sich darunter befand. Auf einem niedrigen hölzernen Tisch lagen mehrere groteske Schneideinstrumente. Kathryn atmete langsam aus. „Es kann sich nur noch … Was war das? Hast du dieses Geräusch gehört?“
„Lasst uns zurückgehen, Euer Gnaden. Bitte …“
Kathryn ging auf die andere Seite des Holztisches. Emma klammerte sich von hinten an sie und prallte auf sie, als Kathryn plötzlich stehen blieb.
„Heilige Mutter Gottes!“, rief Kathryn entsetzt aus und betrachtete eines der Lumpenbündel näher. „Das ist ein Mann! Und er lebt!“
„Jesus, Maria und Joseph“, flüsterte Emma, während Kathryn neben der gekrümmten Gestalt am Boden niederkniete. „Wer kann das sein?“
„Hugh! O nein, es ist Hugh! Hugh, könnt Ihr mich verstehen?“ Kathryn schluckte mehrmals heftig, um sich nicht übergeben zu müssen. Die Verletzungen, die man dem Freund ihres Mannes beigebracht hatte, waren so grauenhaft, dass Kathryn all ihren Mut zusammennehmen musste, um überhaupt hinsehen zu können. Sie konnte kaum fassen, was sie sah. Tränen standen in ihren Augen, als sie versuchte, den Blick auf den Lehmboden neben seinem Kopf zu richten.
Hugh stöhnte schwach.
„Ich glaube nicht, dass er bei Bewusstsein ist.“
„Dem Himmel sei Dank“, sagte Emma. Sie zog Kathryn am Ärmel, um ihre Herrin von dem Mann fortzubewegen.
„Wie bekommen wir ihn hier heraus?“
„Wie kommen wir selbst heraus?“, fragte Emma verzweifelt. Der Mann war offensichtlich dem Tode nahe, und es war rundweg unmöglich, ihn die Treppe hinaufzuschleppen.
„Hugh, wenn Ihr mich hören könnt, ich bin es, Lady Kathryn“, sagte sie bedrückt. „Wir holen Hilfe. Wir werden Euch hier herausschaffen.“
„Was tun, Mylady?“, fragte Emma. „Glaubt Ihr, dass es einen Tunnel gibt, der nach draußen führt?“
„O nein!“
„Was ist?“
„Ach, du meine Güte!“
„Was habt Ihr?“
„Was für eine Närrin bin ich gewesen!“, sagte Kathryn. „Philip! Vermutlich versteckt er sich hier irgendwo!“
20. KAPITEL
Sir Alfred war damit beauftragt worden, für Lady Kathryns Sicherheit zu sorgen, musste jedoch bald feststellen, dass es nicht viel zu tun gab, da die Lady mit den Dienern zusammenarbeitete und die Burg wie ein gemeines Waschweib schrubbte. Also hatte er sich an die riesige Tafel in der Großen Halle gesetzt, seine verschiedenen Klingen geschärft und seiner Umgebung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Falls Philip einen Angriff plante, müsste der ehemalige Earl erst an ihm vorbeikommen, was – da war sich Alfred sicher – nicht so einfach wäre.
Als die Bediensteten damit begannen, für das Abendmahl Tische in der Halle aufzustellen, fiel es Alfred endlich auf, dass er die Duchess und ihre Begleiterin schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Das kam ihm seltsam vor. Er durchsuchte den Saal und die angrenzenden Räume flüchtig, doch Lady Kathryn war nirgends zu finden.
Das bereitete ihm Sorgen. Der Duke würde ihm das Fell gerben, wenn seiner Lady irgendetwas zugestoßen wäre. Alfred sah in ihrer Kemenate nach und in der Spinnstube, wo die Frauen gerade ihre Arbeit beiseite legten, doch dort war sie ebenfalls nicht. Die Turmzimmer und der Wohntrakt waren menschenleer.
Als letzte Möglichkeit verließ Alfred die Burg und durchkämmte den Hof und die Burganlagen, in der Hoffnung, Lady Kathryn und ihre Gesellschafterin hätten sich nach draußen begeben und genössen den frühen Abend. Es wäre sogar möglich, dass sie auf Mistress Juvets Mann warteten, der seine Frau abholen kommen wollte.
Wolf kehrte kurz vor dem Abendessen nach Windermere zurück. Kathryn war zwar nicht zu sehen, doch das war nichts Ungewöhnliches seit dem Tag ihrer Ankunft in der Burg. Sie arbeitete so viel und war entschlossen, Windermere in so kurzer Zeit wie irgend möglich auf seinen alten Glanz zu bringen.
Sie liebte ihn. Seine schöne, unberechenbare, ungestüme Kathryn liebte ihn, und es wurde ihm warm ums Herz, wenn er daran dachte, wie sie die Worte „Ich liebe dich, Wolf“ sagte.
„Heißes Wasser auf mein Zimmer“, befahl er einem Diener, während er durch die Halle schritt. Arbeiter kletterten von Gerüsten, legten ihre Werkzeuge beiseite und machten sich bereit, für die Nacht nach Hause zu gehen. Die Große Halle sieht schon jetzt viel sauberer und wohnlicher aus, dachte Wolf, als er den
Weitere Kostenlose Bücher