Historical Exklusiv Band 06
seine Erkundigungen mehr als oberflächlich sein würden – falls er überhaupt welche anstellte.
Das Problem war, dass Sarah Straithe nicht zutraute, seinen Teil der Vereinbarung einzuhalten. Nichts an ihm gab ihr dazu Veranlassung. Sein unhöfliches Verhalten bei den beiden Gelegenheiten, da sie ihm begegnet war, bestätigte ihrer Meinung nach nur seinen Mangel an Charakter.
Stirnrunzelnd sah sie ihm nach, als er davonging. Die Nachmittagssonne beschien die breiten Schultern in dem grünen Gehrock und das schimmernde schwarze Haar.
Schwarz wie die Sünde.
Und dieser Mann war ein Sünder. Sarah musste nur daran denken, wie ihr Herz geklopft und ihr Atem gestockt hatte, als er sie küsste, um zu wissen, dass sie es mit einem Schurken erster Güte zu tun hatte.
Sie schlug die Tür hinter ihm zu. Sie wollte und konnte diesem Mann nicht vertrauen. Und sie würde mit ihm fahren müssen, ob mit oder ohne sein Einverständnis.
In Gedanken mit alledem beschäftigt, was es in den nächsten Stunden zu tun gab, schritt James energisch über das Pflaster. Er hatte seinen Lotsen, oder zumindest die Aussicht auf einen. Vorausgesetzt, der Mann kannte die chinesischen Gewässer und führte sie unbeschadet an den patrouillierenden Kriegsschiffen und an den Piraten, die die Küstengewässer unsicher machten, vorbei, dann stand der Mannschaft der Phoenix ein beachtlicher Profit ins Haus. Das meiste von James' Anteil allerdings würde für Kerrick's Keep draufgehen.
Er wollte verdammt sein, wenn er wusste, warum er die halb verfallene Festungsanlage aus dem 12. Jahrhundert von dem Squire, an den sein Bruder die Burg verkauft hatte, zurückgekauft hatte. Sie war eine Ruine, oder jedenfalls fehlte nicht viel, um sie so zu nennen. James besaß nicht einmal fröhliche Kindheitserinnerungen an die rußgeschwärzten Balkendecken oder die düsteren Hallen. Als er zur See ging, war er froh gewesen, diesen Ort nicht mehr sehen zu müssen, und auch nicht den strengen Bruder, der es als Oberhaupt der Familie zu seinen Pflichten zählte, dem tollkühnen jüngeren Bruder, der stets in Schwierigkeiten geriet, das fehlende Verantwortungsgefühl mit der Peitsche einzubläuen.
Dennoch gehörte Kerrick's Keep jetzt James. Vielleicht, so glaubte er, würde er irgendwann dorthin zurückkehren wollen, wenn er keine Lust mehr zu Abenteuern haben würde, genauso wenig wie auf die klare Meeresluft. Was, so dachte er mit schiefem Lächeln, so bald nicht der Fall sein wird. Getrieben von der Aufgabe, seine Mannschaft von Macaos Fleischtöpfen wegzuholen, die Phoenix zum Auslaufen vorbereiten zu müssen und dem Kaiser ein Schnippchen zu schlagen, indem er die Küste entlangfuhr und nicht den Fluss hinauf, nahm James auf den gewundenen Treppen, die zum Hafen hinunterführten, immer zwei Stufen auf einmal.
Mit etwas Glück begegnete ihm unterwegs vielleicht sogar der Reverend Josiah Abernathy. James' Lächeln wurde breiter, als er sich ausmalte, wie er den Missionar seiner dankbaren und so wunderschönen jüngeren Tochter übergab.
Seltsamerweise jedoch erschienen nicht Abigail Abernathys klassisch schöne Züge vor seinem inneren Auge, sondern das nicht ganz so harmonische Gesicht ihrer Schwester Sarah, als er den Sampan betrat, der ihn zu dem Dreimastschoner an der Mündung der Bucht bringen sollte. Es würde mir überhaupt nichts ausmachen, den Missionar mitzuschleppen, wenn dieser schnippische Blaustrumpf dafür seinen Stolz hinunterschlucken und mir danken muss, dachte James.
Als der Sampan ein bauchiges Handelsschiff umrundet hatte und die schlanke Silhouette der Phoenix erschien, verschwand sofort jeder Gedanke an die Damen Abernathy. Der Schoner zerrte an seiner Ankerkette wie ein Vollblutpferd. James hatte das Schiff einem Yankee abgekauft, der sein Vermögen mit Kaperfahrten verdient hatte, und gebaut hatte es eine Werft in Baltimore, die berühmt war für ihre schnellen Schiffe. Die Phoenix hatte nur wenig mehr als dreihundertzwanzig Tonnen und segelte mit einer Besatzung von neunundzwanzig Mann – von denen die meisten, wie James wusste, jetzt aus Schenken und Bordellen geholt werden mussten.
Leichtfüßig sprang er aus dem Sampan, kletterte an Bord und spürte sogleich das vertraute Schwanken des Decks unter seinen Füßen. Er lockerte die unbequeme Krawatte und rief nach seinem ersten Maat.
"Burke! An Deck, Mann, und zwar schnell!"
Während er auf den sehnigen Iren wartete, blinzelte er hinauf zur Sonne. Es blieben ihnen noch drei
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