Historical Lords & Ladies Band 40
erst später im Leben hinkommen“, sagte Helen nachdenklich.
„Nicht unbedingt. Es wird Ihnen dort gefallen“, versicherte er, wobei er hoffte, dass sich seine Behauptung als wahr erweisen und sie sich bei ihren neuen Arbeitgebern trotz deren Nachlässigkeit wohlfühlen würde. Die Leute hätten für eine Begleitung sorgen müssen. Anscheinend war es ihnen gleichgültig, ob sie ihr Ziel wohlbehalten erreichte. „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie nach Killearn fahren?“
„Ja. Kennen Sie es?“
„Sehr gut sogar. Wohin gehen Sie?“
Helen war versucht, ihm alles zu erklären, schreckte aber dann davor zurück, ihre Lügen einzugestehen. So sehr es sie drängte, sich ihm anzuvertrauen, sie brachte es nicht über sich. „Genau weiß ich das nicht. Ich soll in Glasgow abgeholt werden.“
„Aber Sie kennen doch bestimmt den Namen Ihrer Arbeitgeber. Heißen sie Macgowan?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Lord und Lady Macgowan haben einen kleinen Sohn, der Unterricht benötigen dürfte. Sonst fällt mir niemand von Rang und Namen ein. Es sei denn …“ Er machte eine Pause. „Da gibt es noch die Strathrowans.“
Das Herz klopfte ihr bis zum Halse. Eine heiße Röte stieg ihr ins Gesicht. Wie hätte sie ahnen können, dass der Captain sich in Killearn auskannte? Ob der Ort groß genug war, um sich zu verstecken?
„Wer hat denn behauptet, dass ich zu jemand von Rang und Namen gehe, Captain? Eine solche Familie hätte doch bestimmt für eine Anstandsdame gesorgt.“
„Das stimmt natürlich.“
„Da haben Sie Ihre Antwort, Captain.“
Die war allerdings sehr unbefriedigend. Allmählich fragte er sich, ob es überhaupt eine Anstellung gab. Doch warum hatte sie Killearn erwähnt? Diese kleine Stadt kannte kaum jemand im Süden des Landes.
Um das Thema zu wechseln, begann er über die Schwierigkeiten des Reisens in den äußersten Norden zu reden, wo es wenig Straßen gab und bis vor Kurzem alle Waren noch durch Packpferde transportiert worden waren.
Helen ermutigte ihn weiterzureden. Sie lauschte aufmerksam seinem Bericht über Land und Leute sowie Sitten und Gebräuche, bis sie den Gasthof in Penrith erreichten, wo für die Fahrt nach Carlisle zum letzten Mal die Pferde gewechselt wurden.
Die Straße führte über raues Land, sodass Helen völlig durchgeschüttelt wurde. Außerdem hatte es wieder zu regnen angefangen, und sie spürte die Kälte in allen Gliedern. Sie war froh, als vor ihnen die Mauern und Türme von Carlisle auftauchten. Wenig später bog die Kutsche in den Hof des „Crown and Mitre“ ein.
Zu ihrer Bestürzung erfuhr Helen, dass hier für diese Nacht Endstation war. „Die Kutsche fährt vor fünf Uhr morgens nicht weiter“, erklärte der Kutschenbegleiter, als sie ihm das übliche Trinkgeld gab. „Joe Grinley und ich kehren nach Manchester zurück. Morgen haben Sie eine neue Mannschaft.“
Jetzt war Helen ernstlich in Schwierigkeiten. Einen Augenblick erwog sie, in der Kutsche zu schlafen, wusste aber, dass man das nicht erlauben würde. Außerdem umfasste der Captain bereits mit der Hand ihren Ellbogen, führte sie ins Haus und erteilte seine Anweisungen, denen wie üblich sofort Folge geleistet wurde. Helen schloss daraus, dass es ihm nicht an Mitteln fehlte – ihr dagegen schon.
Während der Mahlzeit, auf die sie keinerlei Appetit hatte, überlegte sie, was der Wirt wohl sagen würde, wenn er entdeckte, dass sie kein Geld besaß, um das Essen zu bezahlen, geschweige denn das Zimmer, das gerade für sie hergerichtet wurde. Was tat man unter solchen Umständen? Gab man vor, beraubt worden zu sein? Captain Blair würde ihr Geld leihen, doch ihm wollte sie ihre Lage auf keinen Fall eingestehen. Obwohl es erst sechs Uhr abends war, entschuldigte sie sich mit der Ausrede, sie sei müde und wolle schlafen gehen, um am nächsten Morgen frisch zu sein.
„Aber natürlich.“ Er erhob sich. „Ich werde mich vergewissern, ob Ihr Zimmer fertig ist.“
Während sie in der Eingangshalle wartete, war sie derart mit ihren Problemen beschäftigt, dass sie gar nicht merkte, was um sie herum vor sich ging. Anscheinend blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Brosche als Bezahlung anzubieten, die allerdings weit mehr wert war als eine Mahlzeit und eine Übernachtung. Außerdem würde sie auch in Glasgow Geld benötigen, zumal sie keine Ahnung hatte, wie lange sie dort warten musste.
Helen realisierte, dass sie das Schmuckstück verkaufen musste, aber wo? Wen konnte sie fragen?
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