Historical Weihnachtsband 1993
wußte er ganz genau. Er würde alles daran setzen, es zu tun, selbst wenn es ihn das Leben kosten würde. Jetzt stieß er einen leisen Fluch aus. Er verachtete jede Form von Schwäche und konnte doch nichts dagegen tun, daß er sich nicht mehr lange aufrechthalten konnte. Er mußte sich an die Wand lehnen, denn der Raum begann sich in wilden Kreisen zu drehen.
Laura schaute rechtzeitig auf, um zu bemerken, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. „Was ist? Was hast du?"
„Ich fürchte, ich bin doch noch nicht ganz so stark, wie ich meinte." Er tastete an der Wand nach einem Halt. „Ich möchte dich nicht dauernd belästigen, aber wenn ich michjetzt nicht gleich niederlege, falle ich dir buchstäblich zu Füßen."
Sie legte den Arm um seine Taille. Er umklammerte ihre Schulter, stützte sich auf sie und ließ sich zum Bett hinüberführen. Als er sich darauf ausgestreckt hatte, hob sie die Decke auf und wollte sie über ihn breiten. Seine starken Finger schlossen sich um Lauras Handgelenk. Überrascht, wieviel Kraft noch in ihm war, blickte Laura in die dunklen Augen, ohne ein Wort herauszubringen.
Seine Stimme klang dunkel und sehr eindringlich. „Wo ist mein Pferd?"
Plötzlich erschrocken, antwortete Laura: „Im Stall."
„Halt es außer Sichtweite."
"Aber ich ..."
Er verstärkte den Druck seiner Finger um ihr Gelenk spürbar, seine Augen wurden plötzlich schmal. „Wenn der Alte wieder weg ist, bring mir die Satteltaschen und das Gewehr hierher, lege sie neben das Bett."
„Du kannst doch nicht. .., du bist viel zu schwach ..."
„Tu es trotzdem." Er verstummte, sah, wie Angst in Lauras Augen flackerte, und sänftigte seinen Tonfall ein wenig.
„Es tut mir leid, Laura, ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen."
Sie schluckte. Matthew Braden war so lange aus ihrem Leben verschwunden gewesen. Eigentlich wußte sie so gut wie nichts über ihn, außer, daß er immer schon jede Art von Schwierigkeiten anzuziehen schien. Hatte der Vater nicht immer gesagt.
.. ? Sehr entschieden befreite sie ihre Hand und richtete sich auf.
Matthew wandte den Kopf und schaute ihr nach, als sie in ihr eigenes Zimmer hinüberging. Von einem Haken im Korridor nahm sie die alte Schaffelljacke des Vaters, die ihr natürlich viel zu groß war, und schlüpfte hinein. Dann hörte er die Tür schlagen. Etwas später vernahm er Lauras Schritte, als sie über den Vorhof eilte. Er strengte sich vergeblich an, um etwas von dem zu verstehen, was sie dem Alten sagte. Gleich daraufkam sie in sein Zimmer zurück, trat wieder ein und warf die Satteltaschen neben das Bett auf den Fußboden. Dann legte sie ihm das Gewehr auf die Bettdecke.
„Ich brauche auch noch Patronen", sagte er und wies auf die Satteltaschen.
Laura suchte darin, fand das Gewünschte und reichte ihm das Päckchen mit den Patronen. „Sonst noch etwas?"
Er hörte den ablehnenden Unterton und hätte sich gewünscht, Laura etwas Liebes sagen zu können. Aber es war ihm immer schon schwergefallen, freundliche Worte und behutsame Gesten zu finden. Außerdem war es vielleicht dazu schon zu spät, und er konnte den Schaden nicht wieder gutmachen. Laura Gönners hatte ihm das Leben gerettet. Und zum Dank dafür brachte er sie nun in tödliche Gefahr.
3. KAPITEL
Die schweren Schneefälle zwangen Laura, die Rinder von den umliegenden Hügeln herunterzutreiben und für den Rest des Winters in einem eingezäunten Paddock nahe dem Stall unterzubringen. Sie hatte gehofft, noch einen überdachten Unterstand bauen lassen zu können, doch die Zeit reichte nicht, der Schnee kam ihr zuvor. Während sie nun die Boxen säuberte und frisches Stroh aufschüttete, nahm sie sich vor, im nächsten Frühjahr einen errichten zu lassen, in dem eine weitaus größere Herde Platz finden könnte als die ihre. Geradezu verbissen verrichtete Laura ihre Arbeit, fest entschlossen, nicht an den Mann zu denken, der drinnen im Haus auf dem Bett ihres Vaters lag.
Schließlich führte sie ihr Pferd auf die kleine Koppel hinaus, ließ jedoch Matthews Hengst im Stall, wo ihn keiner sehen konnte. Später wandte sie sich den anderen Verschlagen zu, fütterte die Hühner und die Schweine. Die Hennen scharrten um sie herum, aber Lauras Gedanken waren nicht bei der Sache. Nach all den Jahren der vagen Hoffnung, den zahllosen schlaflosen Nächten, mußte sich Laura nun eingestehen, daß der Vater eben doch recht gehabt hatte mit der Einschätzung Matthew Bradens. Selbst jetzt, da er alt genug war,
Weitere Kostenlose Bücher