Historical Weihnachtsband 1993
verheiratet sein oder mich hassen wegen all des Schlimmen, was hier alles vorgefallen ist..."
„Ich könnte dich doch niemals hassen."
„Ich würde es dir nicht nachtragen, wenn du es tätest. Es hat sich so vieles verändert, auch ich bin nicht mehr der, der ich früher gewesen bin."
Blythe sah ihm in die Augen, in denen immer noch etwas wie Angst flackerte, aber auch Hoffnung leuchtete und Liebe, und schüttelte schließlich den Kopf. „Nein, das stimmt nicht, obwohl ich zuerst auch so dachte. Dann aber sah ich dich mit Benji und wußte, alles, was ich an dir liebe und immer geliebt habe, war bloß verdrängt und wartete darauf, wiedererweckt zu werden."
Rafe konnte sich nicht länger halten. Er riß Blythe an sich, spürte, wie sie die Arme um seinen Hals schlang und sich so an ihn klammerte, als wollte sie ihn all die Jahre der Trennung vergessen lassen und ihre Seele mit der seinen verschmelzen.
„Willst du meine Frau werden?" fragte er. Natürlich war dies nicht der passende Zeitpunkt, doch die Worte brachen einfach aus Rafe heraus.
„Sie wiederholen sich, Sir", gab Blythe zurück mit einem Anflug von Spott, wie früher so oft. „Soll ich daraus schließen, daß es beim ersten Male nicht ernst gemeint war?"
Rafe beugte sich über sie und knabberte zärtlich an ihrem Ohr, bevor er antwortete.
„Ich spreche von jetzt, von diesem Augenblick . . ."
Sie wich ein wenig zurück und schaute ihn forschend an. „Ist dir klar, daß du dir damit viel mehr einhandelst als damals vor vier Jahren?"
„Die Kinder?"
Blythe nickte. „Ich würde sie niemals verlassen."
Rafe zog sie näher an sich heran. „Und ich würde es niemals von dir verlangen. Ich habe mir immer schon eine große Familie gewünscht."
„Selbst eine so große?" Sie lachte leise.
„Vielleicht sogar das", er legte gewollt den Unterton von Lüsternheit in die nächsten Worte, „vielleicht sogar eine viel größere."
„Ich liebe dich", gab sie zur Antwort.
„Du willst also .. .?"
Nun gab es nur noch eine Frage, bevor Blythe von ganzem Herzen zustimmen konnte. „Was wird aus Seth?"
Rafe schob ihr die Hand unter das Kinn und hob ihr Gesicht zu sich auf. „Ich weiß es nicht, Liebste." In seiner Stimme klang soviel Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit mit, daß Blythe am liebsten geweint hätte.
„Laß sie gehen", bat sie. „Der Krieg ist so gut wie zu Ende. Was also soll es denn noch?"
„Wenn es nur um Seth ginge . . ."
„Du weißt, daß Seth den General niemals im Stich lassen würde."
„Ich weiß es", sagte er und zeichnete mit den Fingern Arabesken auf Blythes Wange.
Blythe lehnte sich an ihn und verglich in Gedanken die beiden Brüder miteinander.
Halsstarrig. Oh, sie waren beide so verwünscht starrsinnig. Blythe schloß die Augen.
Nein, jetzt wollte sie nicht denken, nur fühlen. Denn nur diese Stunde zählte. Sie spürte, wie Rafe mit den Lippen ihren Nacken liebkoste, bevor er sich von ihr löste und sie zu ihrem Bett führte.
„Ich glaube, daß wir beide noch ein wenig Schlaf brauchen." Er empfand ihr Zögern, ahnte ihre Verwirrung. Er würde nun nicht wegen einer schnellen Hochzeit in Blythe dringen, nicht, solange Seth zwischen ihnen stand.
„Bleib bei mir", bat sie.
„Ich werde dich nie mehr verlassen ", sagte er sehr ernst, „niemals wieder." Damit setzte er sich auf den Bettrand und zog die Stiefel aus. Dann legte er sich neben Blythe und streckte die Arme nach ihr aus. Sie drückte sich an ihn, und er drehte sie so herum, daß sie mit dem Rücken an seiner Brust ruhte.
Blythe schloß die Augen und fühlte sich in Rafes Armen geborgen und geliebt. Für jetzt mußte das genügen, diese ruhige, sichere Berührung. Die vergangenen beiden Tage machten sich nun doch bemerkbar, und Blythe glitt in einen friedlichen Schlummer hinüber.
Rafe wollte das trotz seines übergroßen Schlafmangels nicht gelingen. Immer wieder stellte er sich die Frage, was er um Gottes willen bloß tun sollte.
6. KAPITEL
Eine unruhige Bewegung des Verwundeten weckte Seth. Obwohl er nahezu achtundvierzig Stunden kein Auge zugetan hatte, bevor er sich vor kurzem ein wenig zur Ruhe legte, war er sofort hellwach. Gewohnheit, dachte er bedauernd, wie es sonst nicht seine Art war, ist ein Segen und zugleich ein Fluch.
Es dauerte einige Minuten, bis er sich soweit an die Dunkelheit gewöhnt hatte, daß er ein Streichholz und den Kerzenstumpf ertasten konnte. Seth strich das Hölzchen an einem Stein an und sah zu, wie der
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