Historical Weihnachtsband 1993
Docht Feuer fing, die Flamme aufleuchtete.
„General Massey?"
Mit ein paar Schritten war Seth neben seinem Patienten, legte ihm die Hand prüfend auf die Stirn und fühlte erleichtert, daß sie ziemlich kühl war. Wenigstens keine Entzündung, also kein Wundfieber. Noch nicht jedenfalls.
„Captain Hampton?"
Seth schenkte dem General einen fragenden Blick.
„Der Yankee . . .?"
„Wir haben einen vorübergehenden Waffenstillstand geschlossen. Aber der Major hat leider unsere Revolver."
„Ist er tatsächlich Ihr Bruder?"
"Ja, doch das ändert nichts, nicht an unserer Lage. Er ist fest entschlossen, Sie gefangenzunehmen, und ich bin ebenso fest entschlossen, dies nicht zuzulassen."
„Verdammt. . ., Captain."
„Ich könnte auch fluchen, General. Es war verdammtes Pech, daß er gerade jetzt zurückkehren mußte. Keiner sonst hätte etwas geahnt, daß es diesen Keller überhaupt gibt."
„Wo ist er . . . nun?"
„Ich nehme an, er schläft."
„Und Sie sind sicher, daß er allein gekommen ist?"
"Ja."
Massey versuchte sich aufzurichten, fiel jedoch mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. „Wir, wir müssen . . . hier weg."
„So können Sie nicht reiten, Sir, noch nicht. Es wäre Ihr Tod. Sie haben viel Blut verloren, und wir düfen es nicht riskieren, daß die Wunde noch einmal aufplatzt."
„Immer noch besser so als ..."
„Nein", sagte Seth entschieden, „es wäre reiner Selbstmord, und damit habe ich als Arzt nichts zu tun."
„Aber ein Gefängnis der Yankees wäre nichts anderes."
„Doch, denn ich würde Sie natürlich begleiten."
Massey schüttelte mühsam den Kopf. „Zum Teufel, Hampton, ich befehle es Ihnen!"
„Tut mir leid, Sir, aber ich weigere mich." Im Geiste fügte er nun noch ein Standgericht der eigenen Leute zu den Aussichten hinzu, die ihm, Seth Hampton, blühen mochten. Der Arzt entfernte mit behutsamen Händen den Verband und untersuchte die Wunde sorgfältig. Gotdob war es ein glatter Durchschuß gewesen, aber die Austrittsstelle der Kugel war ziemlich groß. Obwohl Seth sie genäht hatte, floß immer noch ein wenig Blut aus. Nur einige wenige Stunden, er brauchte nichts als einige wenige Stunden.
"Außerdem denke ich, daß Mosbys Leute nach uns suchen werden. Sie wußten, wohin wir uns flüchten würden."
„Und die Yankees?"
„Sie werden vermutlich ausschwärmen, um meinen Bruder zu finden. Wir können bloß hoffen, daß die Unseren früher da sind. Unter militärischer Bedeckung könnten wir uns dann ein wenig Zeit lassen."
Massey schloß die Augen, und Seth fragte sich, ob er litt oder betete. Gleich darauf öffnete der General seine Augen wieder. „Wie spät ist es wohl, Captain?"
„Ich würde annehmen, gegen neun Uhr morgens. Heute haben wir den Weihnachtstag."
„Weihnachten", murmelte Massey, und ein bitteres Lächeln erschien um seinen Mund. „Da könne ich mir auch etwas Schöneres vorstellen, als hier wie ein Maulwurf im Dunkel begraben zu sein und auf einen Haufen Yankees zu warten."
Seth nickte. Er teilte die Gefühle des Generals ganz und gar.
„Möchten Sie irgend etwas?"
„Ein wenig Wasser?"
„Und Opium?"
„Nein, das wäre in meinem Fall reine Verschwendung. Wir haben ohnehin viel zu wenig davon. Und ich will wissen, was um uns her geschieht. Nur Wasser, bitte."
Seth betrachtete den General forschend. Seine Züge waren von den Schmerzen verzerrt, und bei jeder Bewegung wurde das deutlicher. Aber er bewies Mut, verdammt viel Mut, und war sehr tapfer. Seth war fest entschlossen, Massey irgendwie hier hinauszubringen. Inzwischen goß er Wasser in die Schale und stützte des Generals Kopf mit einer Hand, während die andere dem Verwundeten das Gefäß an die Lippen hielt. Obwohl der sich kaum rührte, schien sich der Schmerz wieder zu steigern. Großer Gott, wie sollte Seth diesen Mann bloß in den Sattel bringen?
„Keine Sorge, Captain", sagte jetzt Massey, als hätte er Seths Gedanken gelesen.
„Ich schaffe es schon irgendwie." Er faßte in die Hosentasche und zog eine goldenen Uhr heraus. „Es ist nun neun. Noch sechs Stunden, dann reiten wir."
Seth setzte eine zweifelnde Miene auf.
„Um drei, Captain, und wenn Sie mit einer Leiche aufbrechen."
Seth nickte. Rafe hatte bis zwei Uhr um Waffenstillstand gebeten, und er, Seth, geschworen, bis dahin nichts zu unternehmen. Es blieb ihm also eine ganze Stunde, sich einer Waffe zu bemächtigen und . . . Was dann? Konnte er Rafe wirklich anschießen? Rafe hatte es ihm geglaubt, würde er
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