Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
ertappte sie sich dabei, wie sie bemüht war, keine Pflanzen zu zertreten oder Lichter umzustoßen. Doch es gelang ihr nicht immer.
Das brennende Sonnenlicht wich muffigem Schatten, kaum kühler, aber mit deutlich anderen Gerüchen behaftet. Trockenes Laub, Erde, gegossenes Moos. Ein paar dürre Äste rissen an Winnies nackten Armen, als sie sich mitten durch eine Buschgruppe schlug, um ein wenig Boden gutzumachen. Auf der anderen Seite befand sich ein hübsch angelegtes Rondell. Von dort führten sternförmig angeordnete Wege in alle erdenklichen Himmelsrichtungen. Winnie Heller dachte unwillkürlich an den Spruch, dass viele Wege nach Rom führen, und entschied sich kurzerhand für Osten. Da das Überraschungsmoment sowieso beim Teufel war, konnte sie genauso gut ihr Handy benutzen.
Während der Spurt ihre Muskeln brennen ließ, zerrte sie
das Gerät aus der Hosentasche und drückte die 3, Verhoevens Kurzwahl.
Er war sofort am Apparat. »Wo sind Sie? Was ist los?«
»Verfolge Verdächtigen«, antwortete sie, völlig außer Puste. »Der Mann bewegt sich in östlicher Richtung. Vermutlich auf den Haupteingang zu.«
»Beschreibung?«
»Ein Mann. Dunkel. Etwa eins achtzig und …« Winnie hielt inne, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte. Jemand, der rannte. Überrascht wandte sie sich um. Vermutete völlig irrational ihren Vorgesetzten. Doch es war Jo Ternes, die ihr folgte.
»Hauen Sie bloß ab!«, fauchte sie die Reporterin an, ohne ihr Lauftempo nennenswert zu drosseln. »Sie behindern einen Polizeieinsatz!«
Doch Jo Ternes dachte gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. »Mir kommen gleich die Tränen«, keuchte sie.
»Ich mein’s ernst!«, schrie Winnie, während sie das Handy kurzzeitig sinken ließ. »Machen Sie, dass Sie wegkommen, oder ich sorge dafür, dass Sie Ärger kriegen. Und ich meine richtig Ärger.«
Eine Androhung, die bei der hartgesottenen Journalistin erwartungsgemäß nicht den geringsten Eindruck hinterließ …
»Das ist er, oder?«, pfiff ihre atemlose Stimme in Winnies Ohr. »Dieser Kerl da vorn ist der Artist.«
Winnie antwortete nicht. Der Verdächtige war gerade wieder einmal für ein paar flüchtige Sekunden zu sehen gewesen, und sie hatte den Eindruck, dass sich der Abstand zwischen ihnen noch vergrößert hatte.
Sie zog das Tempo an. Ihre Muskeln rebellierten mit jeder Faser gegen die ungewohnte Belastung, doch noch hielt sie durch.
»Ist er das?«, beharrte Jo Ternes in ihrem Rücken. Offenbar dachte sie nicht im Traum daran, sich abschütteln zu lassen.
»Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? «, rief Winnie, während sie das Handy wieder ans Ohr hob. »Sie sollen sich zum Teufel scheren!«
»… los bei Ihnen, verdammt noch mal?«, drang Verhoevens aufgeregte Stimme aus dem Gerät.
»Alles klar, ich bin okay«, rief sie.
»Wer ist da bei Ihnen?«
»Diese Reporterin, Jo. Aber ich werde mit ihr fertig.«
Ihr Vorgesetzter sagte nichts.
»Wir sind jetzt etwa auf Höhe der Kriegsgräber«, keuchte Winnie. »Die aus dem Ersten Weltkrieg, glaub ich. Und ich habe auch noch immer sporadisch Sichtkontakt zu unserem Mann.«
»Gut«, antwortete Verhoeven. »Bleiben Sie dran. Ich sorge dafür, dass Sie Verstärkung bekommen.«
Winnie schluckte trocken. »Es wäre toll, wenn Sie sich beeilen könnten. Dieser Kerl ist verdammt schnell.«
»Alles klar, halten Sie durch.«
Sicher doch!
Sie ließ das Handy sinken und rannte weiter. Ihr Atem wollte ihr kaum noch gehorchen, und in ihrer Seite stach es, als bohre jemand einen glühenden Dolch in ihre Flanke. Trotzdem rannte sie weiter. Mehr noch: Sie versuchte, schneller zu werden, aber es mangelte ihr schlicht und einfach an Kondition. Ihre verbissenen Bemühungen reichten gerade aus, um nicht langsamer zu werden. Und seltsamerweise musste sie auch in dieser Situation schon wieder an Lübke denken. An sein Hemd, das nicht länger über dem Bauch spannte. An die frische Farbe seiner Wangen.
Sie schlug nach einer Wespe, die ihren Weg kreuzte, und hatte kurzzeitig das Gefühl, sich vor lauter Anstrengung übergeben zu müssen. In ihren Lungen pochte und brannte es wie wild. Die ausgelaugte Luft dieses glühenden Sommertags bot einfach nicht genügend Sauerstoff, um einen Spurt, wie
sie ihn gerade absolvierte, lange durchhalten zu können. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Irgendwann musste von irgendwo her jemand auftauchen, der ihr half. Eins von Hinnrichs’ Teams. Kollegen. Bestimmt hatte
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