Hochzeitsglocken zum Fest der Liebe
Jo schritt zum Fenster und betrachtete die spärlich vom Himmel niedersinkenden Schneeflocken. Sie war sich ihrer Gefühle nicht mehr sicher. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, Hal zu sehen, doch ihn im Kreise ihrer Lieben zu finden, und anscheinend auf bestem Fuß mit ihnen, brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.
„Es tut mir leid, wenn ich ungelegen kam …“
„Nein, nicht doch“, sagte sie, ohne sich umzuwenden. „Sie sind willkommen, wie meine Familie Ihnen, denke ich, bewiesen hat. Übrigens muss ich Ihnen noch einmal für Ihre großzügige Gabe danken; die Sachen Ihrer Großmutter sind mir sehr nützlich.“
„Unsinn! Das sind Lappalien. Gar nichts hast du von mir bekommen – und du musst doch wissen, dass ich dir alles geben möchte?“
Zornglühend drehte Jo sich herum und sah in an. „Wie soll ich das wissen? Nichts hast du gesagt, außer dass ich nicht als deine Gattin passe!“
„Ich war ein Narr! Ich hätte schweigen sollen, bis ich mich mit meinem Vater ausgesprochen hatte.“
„Und hast du nun mit ihm gesprochen?“ Sie las die Antwort in seinen Augen. „Was hat er gesagt?“
„Dass er sich freuen würde, wenn du Ellen einen Besuch abstattest und …“
„Damit er mich begutachten kann?“ Aus einem ihr unerfindlichen Grund war sie schrecklich wütend. Eigentlich hätte sie diese Einladung als Ermutigung auffassen müssen, doch in ihrer augenblicklichen Erregung konnte sie nicht klar denken. Sie kam sich vor wie ein junges Pferd, das auf seine Tauglichkeit geprüft werden sollte. „Sprich Lord Beverley bitte meinen Dank aus, doch da ich eben erst heimgekehrt bin, bin ich im Moment nicht abkömmlich.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, schritt sie rasch hinaus in die Halle, nahm ihren Umhang und eilte ins Freie.
„Jo?“, rief Mrs. Horne, die gerade die Treppe hinabkam, doch sie hörte es nicht oder wollte es nicht hören, und hinter ihr fiel die Tür mit Unheil verkündendem Knall ins Schloss.
„Jo hatte es ziemlich eilig“, sagte Mrs. Horne, als sie in den Salon kam. „Sollten Sie gestritten haben?“
Hal stand da wie ein begossener Pudel. „Ich glaube, sie zürnt mir“, murmelte er betrübt. „Es liegt allein an mir, Mrs. Horne, Jo trifft keine Schuld.“
„Nun, ich werde nicht fragen, doch sagen will ich Ihnen etwas, falls Sie es noch nicht selbst bemerkt haben: Jo ist sehr stolz und manchmal von recht hitzigem Naturell. Sie wird sich beruhigen und wieder Vernunft annehmen, wenn Sie ihr nur ein wenig Zeit lassen.“
„Also sollte ich ihr besser nicht folgen?“
„Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne Ihre Absichten nicht, Sir.“
„Ich liebe Jo unendlich, aber ich war sehr dumm und habe sie zu sehr verletzt.“
„Dann lassen Sie ihr Zeit, sich zu fassen; wenn sie Sie liebt, wird sie Ihnen eine zweite Chance geben, Mr. Beverley.“
„Vielleicht wäre es am besten so. Angesichts der Umstände möchte ich allerdings nicht bleiben; sie soll sich von mir nicht bedrängt fühlen. Wenn Sie ihr bitte diesen Brief aushändigen wollen, Mrs. Horne? Er ist von meinem Vater. In wenigen Tagen bin ich wieder hier und hoffe, dass Jo dann geneigt ist, mit mir zu sprechen.“
„Das ist sehr vernünftig. Aber wollen Sie nicht doch bleiben? Jos Ärger hält nie sehr lange an.“
„Ich werde nicht so rasch aufgeben. Wenn ich zögerte, war es, weil ich um die Gesundheit meines Vaters fürchtete. Dass wir uns dadurch entzweien, hätte ich nicht zulassen dürfen. Dabei hätte es nur der Geduld bedurft … inzwischen weiß ich zumindest, dass Jo ihm gefällt. Er wünschte ihren Besuch schon, bevor er erfuhr, dass ich sie heiraten möchte.“
„Weiß Jo das?“
„Möglicherweise habe ich mich da ungeschickt ausgedrückt. Bitte, Madam, sage Sie ihr, dass ich bald wieder hier bin. Wenn Sie erlauben, lasse ich meinen Reitknecht hier bei Ihnen. Das Wetter wird nicht besser, und ich brauche ihn für diese kurze Zeit nicht, da ich nur einige Geschäfte für meinen Vater zu erledigen habe.“
„Natürlich kann er bleiben, Sir. Und ich werde Jo alles ausrichten.“
So schnell schritt Jo aus, dass sie nicht nur vor Wut außer Atem war. Erst weit entfernt vom Haus ging sie langsamer, doch immer noch rannen ihr Zornestränen über die Wangen. Wie demütigend zu wissen, dass Hal, um sie zu heiraten, erst die Erlaubnis seines Vaters eingeholt hatte. Wenn er sie ebenso sehr liebte wie sie ihn, hätte er ihm einfach seine Absicht kundtun und sie gegen jeden Widerstand
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