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Höchstgebot

Höchstgebot

Titel: Höchstgebot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hoeps/Toes
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Routine half, einige durch das Schmerzmittel verursachte Aussetzer und Abwesenheiten unauffällig zu überstehen. Vielleicht noch ein halber Tag, dann sollten alle lockeren Farbschollen gesichert sein.
    Und dann käme die Fisselarbeit. Sie mussten das abgetrennte Randstück wieder mit dem Bild zusammenbringen. Sie hatten beschlossen, den Riss nicht mit chirurgischem Synthetikfaden zu vernähen, sondern lieber die Einzelfäden der Leinwand miteinander zu verkleben. Das ging nicht nur schneller, was mit Blick auf das Honorar eher ein Gegenargument gewesen wäre, sondern sollte in diesem Fall auch stabiler sein.
    Nach zwei konzentrierten Schweigestunden legten sie eine Pause ein und wechselten für einen Kaffee in den Aufenthaltsraum. Das Radio lief. Ein aserbaidschanischer Chartstürmer füllte das kleine Zimmer mit Zuckerwatte.
    Robert hatte die Hand am Ausschalter, als die Nachrichten kamen. Er hatte schon seit einigen Tagen nichts vom Weltgeschehen erfahren, dachte er ein wenig schuldbewusst. Andererseits kamen er und das Weltgeschehen gerade ganz gut ohne einander aus.
    Anouk signalisierte ihm jedoch, dass sie die Nachrichten hören wollte, und so setzte er sich wieder hin und begrüßte das Weltgeschehen wie einen ungeliebten Nachbarn, der einem nur Ärger bereitet.
    »… in Kandahar wurde mit mindestens fünfundvierzig Toten und über achtzig Schwerverletzten angegeben. Wie das ISAF-Führungskommando im NATO-Hauptquartier Brunssum bekanntgab, seien dabei neuartige Laufroboter eingesetzt worden, mit denen erstmals auch Talibanstützpunkte innerhalb von Wohngebieten gezielt ausgeschaltet werden könnten. Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichteten von sechsfüßigen Minirobotern, die Sprengstoffpakete transportieren und sie am Zielort zur Explosion bringen. Der ISAF-Sprecher erklärte weiter, dass einer der Prototypen durch einen Störsender der Taliban außer Kontrolle geraten und in das neben dem Ziel gelegene Hospital gelenkt worden sei. Die Auslösung der Explosion sei wegen des Störsenders nicht mehr zu verhindern gewesen. Menschenrechtsorganisationen und Regierungen mehrerer Länder haben inzwischen eine weltweite Ächtung unbemannter Waffensysteme gefordert. Den Haag. Der …«
    Robert drehte den Ton herunter. »Brunssum, liegt das nicht gleich hier um die Ecke?«
    »Absolut.« Anouk nickte.
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Und Debriek hat heute Morgen am Telefon Englisch gesprochen?«, fragte er nachdenklich.
    »Ja, hab ich doch gesagt.«
    »Hört sich ganz so an, als hätte heute ein Limburger Katholik kräftig dabei geholfen, ein Krankenhaus voller Muslime in die Luft zu jagen.«
    »Bist du auch einer von denen, die es besser fänden, wenn die Taliban ihren Frauen die Nasen abschnitten?«
    Er erhob sich und ging zur Tür. »Nein, ich bin einer von denen, die jetzt einer orientalischen Prinzessin namens Scheherazade den Teint verschönern werden.«
    »Du brauchst eine Brille, mein Lieber, Magrittes Scheherazade hat überhaupt keinen Teint. Das ist nämlich der Witz an der Sache.«
    Anouk folgte ihm dichtauf. Er hätte sich nicht gewundert, wenn sie ihm mit Lust in den Hintern getreten hätte.
    Nach dem Mittagessen hakten sie auf dem Schadensprotokoll ab, was sie bisher geschafft hatten. Was die Farbschichten anging, blieb eine Liste von sieben kleineren Stellen übrig, an denen die Farbschollen nicht nur angehoben, sondern ganz weggeplatzt waren.
    »Da müssen wir wohl den Pinsel schwingen«, meinte Anouk seufzend. Jede Retusche, die nicht von Künstlers Hand kam, war für Restauratoren wenn auch nicht unbedingt ein Sün denfall, so doch ein heikler Fremdeingriff in das Werk. »Oder wir rufen noch mal bei der Polizei an, ob sie die ein oder andere Scholle gefunden haben.«
    Robert fluchte leise.
    »Polizeiphobie?«, fragte Anouk.
    »Nein, nur ein poröses Hirn.« Er ging zu seiner Jacke, die über einem Stuhl hing, und zog aus der Brusttasche vorsichtig ein gefaltetes Papier hervor. »Ich habe nämlich selbst in Lüttich heimlich ein paar Farbsplitter sichergestellt.«
    »Und die ganze Zeit über außerordentlich fachmännisch aufbewahrt. Chapeau, Herr Kollege!«
    Robert setzte in Notwehr zu einer wortreichen Darlegung der Auswirkungen eines Halswirbelsyndroms infolge eines aggressiven Auffahrattentats sowie der vielfältigen Nebenwirkungen des symptomlindernden Opioids Tramadol an. Anouk lehnte sich zurück und verfolgte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen interessiert, wie er sich abmühte.

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