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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Augen lief. Dann trocknete er mich ab, wobei er darauf achtete, daß ich auch unter den Armen und zwischen den Zehen richtig trocken war, und während er dies tat, erforschte er meinen Körper. Ich fühlte mich wie ein Kunstwerk, aber auch wie eine Prostituierte.
    »Ich muß zurück in die Arbeit«, sagte ich schließlich. Er hob meine Sachen vom Boden auf und zog mich an, steckte die Ohrringe wieder durch meine Ohrläppchen und bürstete mir das nasse Haar aus dem Gesicht.
    »Wann hast du Schluß?« fragte er. Ich dachte an Jake, der zu Hause auf mich wartete.
    »Um sechs.«
    »Ich werde da sein«, sagte er. Ich hätte ihm antworten sollen, daß ich einen Partner hatte, ein Zuhause, ein ganzes anderes Leben. Statt dessen zog ich sein Gesicht zu mir heran und küßte seine wunden Lippen. Ich konnte mich kaum von ihm losreißen.
    Als ich schließlich im Taxi saß, stellte ich ihn mir vor, dachte an seine Berührungen, seinen Geschmack, seinen Geruch. Ich wußte nicht mal seinen Namen.

    3. KAPITEL
    Völlig außer Atem traf ich wieder in der Arbeit ein. Ich griff nach ein paar Nachrichten, die mir Claudia entgegenstreckte, und eilte in mein Büro. Rasch sah ich sie durch. Nichts, was nicht warten konnte. Draußen begann es schon zu dämmern, und ich versuchte, im Fenster einen Blick auf mein Spiegelbild zu erhaschen. Ich hatte ein ungutes Gefühl wegen meiner Kleidung. Die Sachen fühlten sich irgendwie fremd an, weil sie mir von einem Fremden aus- und wieder angezogen worden waren. Ich hatte Angst, daß das für die anderen genauso offensichtlich war wie für mich. Hatte er meine Bluse richtig zugeknöpft? Oder hatte er mir meine Sachen womöglich in der falschen Reihenfolge angezogen? Es schien alles in Ordnung zu sein, aber ich war mir nicht sicher. Ich eilte mit meinem Schminkzeug auf die Toilette.
    In dem unbarmherzigen Licht vor dem Spiegel überprüfte ich, ob ich geschwollene Lippen hatte oder sonst irgendwie lädiert wirkte. Das meiste ließ sich mit Lippenstift und Eyeliner kaschieren. Meine Hand zitterte.
    Erst nachdem ich sie ein paarmal gegen ein Waschbecken geschlagen hatte, wurde sie ruhiger.
    Ich rief Jake auf seinem Handy an. Er klang sehr beschäftigt. Ich erklärte ihm, daß ich in eine Besprechung müsse und eventuell später nach Hause käme. Wie spät?
    Das wisse ich nicht, gab ich ihm zur Antwort, das lasse sich überhaupt nicht vorhersagen. Würde ich es bis zum Abendessen schaffen? Ich riet ihm, ohne mich anzufangen. Nachdem ich aufgelegt hatte, beruhigte ich mich damit, daß das eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen sei. Wahrscheinlich würde ich vor Jake zu Hause sein. Dann setzte ich mich hin und dachte über das nach, was geschehen war. Ich rief mir sein Gesicht ins Gedächtnis. Ich schnupperte an meinem Handgelenk und roch die Seife. Seine Seife. Schaudernd schloß ich die Augen. Ich konnte wieder die Fliesen unter meinen Füßen spüren und das Wasser gegen den Duschvorhang prasseln hören. Seine Hände. Wie würde es nun weitergehen? Wie sollte es weitergehen? Ich kannte weder seinen Namen noch seine Adresse. Ich war mir nicht sicher, ob ich seine Wohnung wiederfinden würde, selbst wenn ich es wollte.
    Falls ich also um sechs aus dem Gebäude trat und er nicht da war, hatte die Sache damit sowieso ein Ende. Sollte er aber da sein, würde ich ihm genau das in aller Deutlichkeit sagen müssen: daß die Sache ein Ende haben mußte. Das Ganze war Wahnsinn, und wir taten am besten so, als wäre es nie passiert. Das war die einzig vernünftige Lösung.
    Bei meiner Rückkehr ins Büro hatte ich mich wie betäubt gefühlt, aber nun war mein Kopf so klar wie schon lange nicht mehr, und ich verspürte neue Energie.
    Während der nächsten Stunde führte ich eine kurze Unterhaltung mit Giovanna und erledigte dann ein Dutzend Telefonate, ohne mich mit Smalltalk aufzuhalten.
    Ich rief verschiedene Leute an, vereinbarte Termine, erkundigte mich nach Zahlen. Sylvie rief mich auf einen Plausch an, aber ich erklärte ihr, daß ich mich am nächsten oder übernächsten Tag mit ihr treffen würde. Ob ich abends schon etwas vorhätte? Ja. Eine Besprechung. Ich verschickte ein paar Nachrichten und arbeitete die Akten auf meinem Schreibtisch durch. Eines Tages würde ich gar keinen Schreibtisch mehr haben, aber doppelt soviel schaffen.
    Ich sah zur Uhr hinüber. Fünf vor sechs. Ich kramte gerade nach meiner Tasche, als Mike hereinkam. Bei ihm stand am nächsten Morgen noch vor dem Frühstück eine

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