Höhenangst
aufzeigen. Nach allem, was ich Ihnen erzählt habe, müssen Sie doch einsehen, daß es sich lohnt, in den beiden anderen Mordfällen zu ermitteln.«
Byrne wirkte inzwischen leicht gehetzt, als hätte ich ihn in die Enge getrieben, und schwieg eine ganze Weile. Er schien noch einmal über das nachzudenken, was ich gesagt hatte. Ich klammerte mich an seinem Schreibtisch fest, als würde ich gleich umkippen.
»Nein«, antwortete er schließlich. Ich wollte protestieren, aber er sprach weiter. »Miss Loudon, Sie müssen zugeben, daß ich Ihnen den Gefallen getan habe, mir Ihre Geschichte anzuhören. Falls Sie diese Angelegenheit tatsächlich weiterverfolgen wollen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich an die dafür zuständigen Behörden zu wenden. Aber wenn Sie keine konkreten Beweise vorlegen können, wird man auch dort kaum in der Lage sein, Ihnen zu helfen.«
»Das spielt keine Rolle mehr«, sagte ich. Meine Stimme klang jetzt völlig ausdruckslos. Es spielte tatsächlich keine Rolle mehr. Es gab nichts, was ich noch tun konnte.
»Wie meinen Sie das?«
»Adam weiß inzwischen Bescheid. Sie waren meine einzige Chance. Natürlich haben Sie recht. Ich verfüge über keine Beweise. Ich weiß bloß, daß es so ist. Ich kenne Adam.« Ich wollte aufstehen und mich verabschieden, aber aus einem Impuls heraus lehnte ich mich über den Schreibtisch und nahm Byrnes Hand. Er sah mich erschrocken an. »Wie ist Ihr Vorname?«
»Bob«, sagte er. Ihm war anzusehen, wie unbehaglich er sich fühlte.
»Wenn Sie in den nächsten Wochen hören, daß ich mich umgebracht habe oder unter einen Zug gefallen oder ertrunken bin, dann wird es eine Menge Beweise dafür geben, daß ich mich während der letzten Zeit ziemlich verrückt benommen habe, so daß es leicht sein wird, daraus zu schließen, daß ich Selbstmord begangen habe, weil ich psychisch völlig aus dem Gleichgewicht war.
Aber es wird nicht die Wahrheit sein. Ich will nicht sterben. Ich will am Leben bleiben. Haben Sie mich verstanden?«
Sanft entzog er mir seine Hand.
»Ihnen wird nichts passieren«, sagte er. »Sprechen Sie sich mit Ihrem Mann aus. Sie werden es bestimmt schaffen, Ihre Probleme zu lösen.«
»Aber …«
Wir wurden unterbrochen. Ein uniformierter Beamter winkte Byrne zu sich, und die beiden unterhielten sich leise, wobei sie immer wieder zu mir herübersahen. Byrne nickte dem Mann zu, der daraufhin in die Richtung zurückging, aus der er gekommen war. Byrne ließ sich wieder an seinem Schreibtisch nieder und sah mich mit ernster Miene an.
»Ihr Mann ist vorn am Eingang.«
»Natürlich«, antwortete ich bitter.
»Nein«, widersprach Byrne in sanftem Ton. »Es ist nicht so, wie Sie denken. Er hat eine Ärztin dabei. Er möchte Ihnen helfen.«
»Eine Ärztin?«
»Wenn ich meinen Kollegen richtig verstanden habe, haben Sie in letzter Zeit ziemlich unter Druck gestanden.
Sie sollen sich sehr seltsam verhalten haben. Angeblich haben Sie sich sogar als Journalistin ausgegeben, irgendwas in dieser Art. Sind Sie einverstanden, wenn ich die beiden hereinbitten lasse?«
»Das ist mir egal«, antwortete ich. Ich hatte verloren.
Was hatte es für einen Sinn, jetzt noch dagegen anzukämpfen? Byrne griff nach dem Telefon.
Die Ärztin war Deborah. Unter anderen Umständen hätte ich es als schönen Anblick empfunden, wie die beiden durch das schäbige Polizeirevier schritten. Zwischen all den bleichen, farblosen Beamten und Sekretärinnen kamen ihre Größe und ihre Bräune erst hier so richtig zur Geltung. Deborah lächelte mich zaghaft an. Ich erwiderte ihr Lächeln nicht.
»Alice«, sagte sie. »Wir sind hier, um dir zu helfen. Es wird alles wieder gut.« Sie nickte Adam zu und wandte sich dann an Byrne. »Sind Sie der zuständige Beamte?«
Er sah sie verwirrt an.
»Zumindest bin ich Ihr Ansprechpartner«, antwortete er vorsichtig.
Deborah sprach mit sanfter, beruhigender Stimme, als wäre Byrne ebenfalls einer von ihren Patienten. »Ich bin praktische Ärztin und beantrage entsprechend Abschnitt vier des Mental Health Act von 1983, daß Alice Loudon in meine Obhut übergeben wird. Nach Rücksprache mit ihrem Mann, Mr. Tallis, bin ich der Meinung, daß sie dringend fachkundige Betreuung braucht und zu ihrer eigenen Sicherheit in eine Klinik eingewiesen werden muß.«
»Du willst mich zwangseinweisen lassen?« fragte ich.
Deborah wich meinem Blick aus und starrte auf das Notizbuch hinunter, das sie in der Hand hielt.
»So darfst du das nicht sehen,
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