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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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noch weiter. Ein Gipfel wie der Chungawat erfordere absolute Konzentration, vor allem wenn das Wetter umschlage, meinten Gregs Kritiker. Sie äußerten den Verdacht, Greg sei so sehr mit geschäftlichen Problemen und den speziellen Bedürfnissen seiner unqualifizierten Kunden beschäftigt gewesen, daß dadurch sein Urteilsvermögen und – noch schlimmer – seine Leistungen als Bergführer beeinträchtigt gewesen seien.
    »Wenn man seine gesamte Energie auf die falschen Dinge verwendet hat«, meinte ein Kommentator, »dann ist es kein Wunder, wenn zum falschen Zeitpunkt etwas schiefläuft, befestigte Seile nachgeben und verwirrte Kunden in die falsche Richtung laufen.«
    Es war eine zynische Geschichte über Korruption und Desillusionierung, und gegen Ende zu tauchte Adam als das Symbol eines verlorengegangenen Idealismus auf. Es war bekannt, daß er der Expedition – und nicht zuletzt seiner eigenen Teilnahme daran – von Anfang an kritisch gegenübergestanden hatte, aber als es darauf ankam, war trotzdem er derjenige gewesen, der den Berg hinauf- und hinuntergerannt war, um Leuten beizustehen, die sich selbst nicht mehr helfen konnten. Joanna war es gelungen, mit einigen der Überlebenden zu sprechen, die alle sagten, sie würden Adam ihr Leben verdanken. Die Tatsache, daß er sich weigerte, jemandem die Schuld an dem Fiasko zu geben, ja nur höchst widerstrebend bereit war, sich überhaupt darüber zu äußern, schien ihn für alle noch attraktiver zu machen. Hinzu kam, daß seine eigene Freundin unter den Opfern gewesen war. Adam hatte darüber kaum etwas geäußert, aber Joanna konnte jemanden auftreiben, der berichtete, Adam sei immer wieder losgegangen, um sie zu suchen, bis er schließlich bewußtlos in seinem Zelt zusammengebrochen war.
    Als Adam zurückkehrte, warf er nur einen verächtlichen Blick auf das Cover, zeigte ansonsten aber kein Interesse an dem Artikel. »Was weiß die schon darüber?« lautete sein einziger Kommentar. Später, als wir zusammen im Bett lagen, las ich ihm vor, was die verschiedenen ungenannt gebliebenen Kritiker über Greg gesagt hatten.
    »Wie denkst du darüber, Liebster?« fragte ich ihn.
    Er nahm mir die Zeitung aus der Hand und warf sie auf den Boden.
    »Ich denke, daß das alles ziemlicher Mist ist«, antwortete er.
    »Du meinst, es wird dem, was tatsächlich passiert ist, nicht gerecht?«
    »Ich vergaß«, antwortete er lachend, »als Wissenschaftlerin bist du natürlich an der Wahrheit interessiert.« Er klang, als würde er sich über mich lustig machen.

    Es war, als wäre ich mit Lawrence von Arabien oder Captain Scott verheiratet. Fast alle Leute, die ich kannte, fanden in den nächsten Tagen einen Vorwand, um mich anzurufen. Leute, die die ungebührliche Eile mißbilligt hatten, mit der ich geheiratet hatte, schienen auf einmal größtes Verständnis für meine Entscheidung zu haben.
    Mein Vater rief mich an und unterhielt sich über alles mögliche mit mir, um dann irgendwann beiläufig zu erwähnen, er habe den Artikel gelesen, und wir sollten uns doch mal wieder sehen lassen. Am Montag morgen im Büro mußten mir plötzlich alle irgend etwas Dringendes vorbeibringen. Mike kam mit einer Tasse Kaffee in der Hand herein und reichte mir ein unwichtiges Formular.
    »Wir werden nie so richtig getestet, stimmt’s?« fragte er mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen. »Das bedeutet, daß wir uns selbst gar nicht richtig kennen, weil wir nicht wissen, wie wir in einer Krisensituation reagieren würden. Es muß für deinen … ähm Mann ein wunderbares Gefühl sein, sich bei einer solchen Katastrophe derart bewährt zu haben.«
    »Was meinst du mit meinem … ähm Mann, Mike? Er ist tatsächlich mein Mann. Ich kann dir den Wisch gern zeigen, wenn du willst.«
    »So hab’ ich das doch nicht gemeint, Alice. Es dauert bloß eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat. Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?«
    »Ein paar Monate.«
    »Erstaunlich. Ich muß zugeben, daß ich anfangs dachte, du wärst übergeschnappt, als ich von deinen Heiratsplänen hörte. Das sah der Alice Loudon, die ich kannte, gar nicht ähnlich. Aber inzwischen weiß ich, daß wir alle unrecht hatten.«
    » Wir? «
    »Alle hier im Büro.«
    Ich war entsetzt.
    »Ihr habt mich alle für verrückt gehalten?«
    »Zumindest waren wir alle sehr überrascht. Aber inzwischen ist mir klargeworden, daß du recht hattest und wir unrecht. Es ist genau wie in dem Artikel. Entscheidend ist, daß man auch

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