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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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aber zugleich ist es auch sehr beunruhigend. Ich kenne die Regeln nicht mehr.«
    »Fehlt Ihnen Jake?« fragte Joanna noch einmal.
    Das war eine Frage, die ich mir noch nie gestellt hatte.
    Ich hatte einfach keine Zeit gehabt, mich das zu fragen.
    »Keine Sekunde«, hörte ich mich antworten.

    23. KAPITEL
    Eswar Mitte März, bald würde wieder die britische Sommerzeit beginnen. In allen Parks blühten die Krokusse und Narzissen, die Gesichter der Menschen auf den Straßen wirkten fröhlicher, und die Sonne stieg von Tag zu Tag höher. Joanna Noble hatte recht: Ich würde nie erfahren, was in der Vergangenheit passiert war. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, jeder hat schon einmal jemanden hintergangen. Jeder Mensch tut irgendwann in seinem Leben Dinge, für die er sich hinterher schämt. Am besten, man läßt sie im dunkeln ruhen, wo sie heilen und verblassen können. Am besten, man verbannt die quälende Eifersucht und die paranoide Neugier aus seinem Kopf.
    Ich wußte, daß Adam und ich nicht den Rest unseres Lebens damit verbringen konnten, die Welt auszusperren und einander in seltsamen, verdunkelten Räumen zu erforschen. Wir mußten die Welt ein wenig zu uns hereinlassen. All die Freunde, um die wir uns nicht mehr gekümmert, die Verwandten, von denen wir uns distanziert, und die Pflichten, die wir vernachlässigt hatten. All die Filme, die wir nicht gesehen, all die Zeitungen, die wir nicht gelesen hatten. Wir mußten uns ein bißchen mehr wie normale Menschen benehmen. Also zog ich los und kaufte mir ein paar neue Kleider. Ich ging in den Supermarkt und besorgte normales Essen: Eier, Käse, Mehl, lauter solche Dinge. Ich verabredete mich mit Freunden, wie ich es in meinem früheren Leben getan hatte.
    »Ich gehe morgen mit Pauline ins Kino«, sagte ich zu Adam, als er nach Hause kam.
    Er zog die Augenbrauen hoch.

    »Warum?«
    »Ich muß mich wieder ein bißchen um meine Freunde kümmern. Was würdest du davon halten, wenn wir am Samstag ein paar Leute zu uns zum Essen einladen?«
    Er sah mich fragend an.
    »Ich habe an Sylvie und Clive gedacht«, fuhr ich beharrlich fort. »Wir könnten Klaus dazunehmen, oder Daniel, und vielleicht Deborah. Oder wen du sonst einladen möchtest.«
    »Sylvie und Clive und Klaus und Daniel und Deborah?
    Hier in unserer Wohnung?«
    »Was ist daran so ungewöhnlich?«
    Er nahm meine Hand und spielte an meinem Ehering herum, »Warum tust du das?«
    »Was?«
    »Das weißt du ganz genau.«
    »Es kann nicht alles nur aus …« – ich suchte nach dem richtigen Wort – »… aus Intensität bestehen. Wir brauchen auch so etwas wie ein normales Leben.«
    »Warum?«
    »Wünschst du dir nie, dich einfach mal vor den Fernseher zu setzen? Oder dich mal um neun mit einem Buch ins Bett zu verziehen?« Plötzlich tauchte die Erinnerung an mein letztes Wochenende mit Jake auf – die Erinnerung an all das unspektakuläre häusliche Glück, das ich in meiner Euphorie so achtlos weggeworfen hatte.
    »Oder zum Drachensteigen oder Kegeln zu gehen?«
    »Kegeln? Was zum Teufel ist das?«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Er schwieg. Ich schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an mich, spürte aber seinen Widerstand.

    »Adam, ich liebe dich mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Ich habe dich geheiratet, weil ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen möchte. Aber in einer Ehe geht es auch um ganz normale Dinge, Dinge wie den Haushalt oder andere langweilige Aufgaben, die Arbeit, kleine Streitigkeiten, Versuche, diese Streitigkeiten beizulegen. Lauter solche Sachen. Es geht dabei nicht nur um, na ja, brennendes Verlangen.«
    »Warum?« antwortete Adam knapp. Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Wer sagt das?«
    Ich löste mich von ihm und ging zum Sessel hinüber. Ich wußte nicht, ob ich wütend oder verzweifelt war, ob ich schreien oder weinen sollte.
    »Ich möchte eines Tages Kinder haben, Adam.
    Zumindest könnte ich mir das gut vorstellen. Irgendwann möchte ich in einem Haus und wie eine ganz normale Frau mittleren Alters leben. Ich möchte auch dann noch mit dir Zusammensein, wenn ich alt bin.«
    Er kam zu mir herüber, ließ sich auf die Knie sinken und legte den Kopf in meinen Schoß.
    »Du wirst immer mit mir Zusammensein«, antwortete er mit erstickter Stimme.

    Paulines Schwangerschaft wurde langsam sichtbar, und ihr Gesicht, das häufig so bleich und streng aussah, wirkte plötzlich rund und rosig. Ihr dunkles Haar, das sie sonst zurückgebunden trug, fiel

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