Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
hatte eines von ihnen einen halben Stadtteil verwüstet. Es gelang Izeban sogar, den Grad der Zerstörung in den Dörfern zu errechnen – eine Kunst, die Alina und Leandra nicht wenig beeindruckte. Ohne wirklich jedes einzelne Dorf bereist zu haben, wussten sie nach kurzer Zeit, dass die Drakken ein rundes Zehntel der Gebäude in den Dörfern und Städten zerstört hatten und dass dort etwa ebenso viele getötete Menschen zu beklagen waren. Und noch immer trug rund ein Fünftel der Menschen die seltsamen Halsbänder der Drakken. Sie waren zwar, wie sich herausgestellt hatte, nur für das Auffinden von Flüchtigen gedacht gewesen, inzwischen also ungefährlich, aber es war notwendig, noch einmal Leute mit den erbeuteten Geräten der Drakken auszuschicken, die die Halsbänder lösen würden. Zugleich musste dafür Sorge getragen werden, dass die betroffenen Menschen von dieser Möglichkeit erfuhren. Die einzelnen Blätter ihrer Liste wurden mehr und mehr, und bald häuften sich Berge von Pergamenten in Izebans Arbeitszimmer. Mit so viel neuem Wissen gelang es Alina, den Rat zu beeindrucken und Mittel für die wichtigen Aufbauarbeiten zu erwirken.
Als sich aus der Vielfalt der Erkenntnisse auch die Notwendigkeit ergab, die Leute zu zählen, die verletzt oder krank waren, die ihr Hab und Gut oder gar ihre Angehörigen verloren hatten, eilte Alina und ihren Helfern bereits der Ruf voraus, dass sie sich um die Menschen im Land kümmerten. Anfangs war das ein schönes Gefühl, doch es brachte Probleme mit sich. Die Menschen erwarteten Hilfe. Doch es war der Hierokratische Rat, der die Geldmittel bewilligen musste, und hier war, so musste Alina bitter lernen, gegen die alten Besitzstände kein Ankommen. Auch mit ihren zwölf Stimmen, die sie als Herrscherin von Akrania in sich vereinte, scheiterte sie an eine geschlossen gegen sie stimmenden Rat, der es in diesem Fall auf dreizehn Stimmen bringen konnte.
Selbst Primas Ulkan, der zumeist auf Alinas Seite stand, musste mehrfach dem Druck seiner Ratsbrüder nachgeben. Nach einer anfänglichen Zeit des Wohlwollens regte sich im Rat der Unmut gegen Alina. Nun musste sie nachgeben und vorsichtiger agieren.
So zogen sich die Tage dahin. Bald war abzusehen, dass sich eine Besserung der Zustände nur sehr langsam durchsetzen würde.
Dann, eines Tages, meldete Alinas Leibdiener Larmos einen Besucher für die Shaba. Er sagte, ein Mann namens Cleas habe darum gebeten, sie zu sehen.
Ein Schauer lief über ihren Rücken. »Cleas? Ein… Cleas will zu mir?«
»Sehr richtig«, sagte Larmos höflich. »Er sieht… nun, ein wenig heruntergekommen aus.« Sie erhob sich aufgeregt. »Herein mit ihm, schnell!«
Larmos entfernte sich würdevoll und führte gleich darauf einen großen, hageren Mann herein. Er wirkte abgehärmt, müde, und seine Kleider waren staubig und zerschlissen. Alina stieß einen Schrei aus. »Cleas!« Sie eilte auf ihn zu, um ihn in die Arme zu schließen, aber Cleas hatte trotz seiner Müdigkeit offenbar das Bedürfnis, einen Kniefall vor seiner Shaba zu vollführen. Der Boden war glatt, und beinahe wäre Alina über ihn gefallen. Sie zog ihn auf die Füße und nahm ihn fest in die Arme. »Hoheit«, ächzte er. »Ich…«
Alina drückte ihm, glücklich lächelnd, einen Kuss auf die Wange.
Cleas keuchte hilflos. Cathryn quietschte vor Vergnügen und kam herbeigesprungen, während Marie, der mit ein paar Klötzen am Boden gespielt hatte, plötzlich lautstark losheulte. Leandra eilte zu ihm.
»Darf ich vorstellen?«, sagte Alina und strich sich breit lächelnd eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das ist Cleas. Der Mann, ohne den wir alle heute nicht hier wären. Er hat mich damals aus höchster Not gerettet, als ich auf dem Weg ins Ramakorum war, um Roya zu finden.«
Leandra hatte inzwischen Marie auf dem Arm. Sie trat zu dem verdatterten Cleas und streckte ihm die Hand entgegen. »Wirklich? Du bist Cleas? Wir haben dir eine Menge zu verdanken! Willkommen im Palast. Ich bin Leandra.«
Cleas ergriff entgeistert ihre Hand; seine Augen waren noch größer und runder geworden. Alina schlang noch einmal beide Arme um seinen Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Was bin ich froh, dich zu sehen«, sagte sie. »Ich dachte, du wärest tot. Ich habe dich suchen lassen, aber…«
Cleas kämpfte um seine Beherrschung. Schon früher, als sie beide noch Gefangene und Zwangsarbeiter bei den Drakken gewesen waren, hatte er unablässig versucht, Alina gegenüber so
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