Hörig (German Edition)
gehen, nur das zählte momentan.
Wenn Ed den Zeitungsausschnitt auf dem Küchentisch noch nicht entdeckt hatte, musste das jetzt bald geschehen, in den nächsten fünfzehn Minuten, länger würde es keinesfalls mehr dauern. Ed wüsste natürlich sofort, wie der eine Satz gemeint war. Er würde ins Schlafzimmer gehen, um seine Pistole zu holen, weil er auf der Stelle nach Raderthal kommen und sie eigenhändig aus den Klauen eines Scheusals befreien wollte.
Aber wenn Ed feststellte, dass die Waffe nicht mehr im Schrank lag und was sonst noch fehlte, würde er zur Polizei gehen. Er musste zur Polizei gehen, für ihn alleine wäre das Risiko viel zu hoch. Und er war klug und vernünftig genug, um das zu wissen.
Im Geist sah sie es vor sich. Sein angespanntes Gesicht, wie er sich bemühte, Ruhe zu bewahren. Er erklärte den Polizisten die Situation, wies darauf hin, dass höchste Vorsicht geboten war. Zwei Täter, und mindestens einer bewaffnet. Ed musste zwangsläufig davon ausgehen, dass Heiko die Pistole gefunden und an sich genommen hatte, anderenfalls wäre sie ja längst wieder daheim gewesen.
Das alles würde Ed den Polizisten erklären. Er kannte sie, und er kannte Heiko. Er wusste genau, wie Heiko handelte, wie sorgfältig er plante. Ed wusste alles, was ein anderer Mensch überhaupt von Heiko wissen konnte.
Nur wusste Ed leider nicht genau, wo sie sich befanden, weil Retlings doch zurzeit Urlaub machten, was ihm bekannt war. Auch das erklärte er den Polizisten. Deshalb fuhr ein Streifenwagen zu dem Ferienhaus nach Bad Münstereifel – nein, wahrscheinlich fuhr ein ziviles Polizeifahrzeug dorthin, damit die Täter nicht vorzeitig gewarnt wurden. Und ein Wagen kam hierher, fuhr langsam am Haus vorbei. Die Beamten sahen, dass die Rollläden herabgelassen waren. Zuerst nahmen sie vielleicht an, das Haus sei tatsächlich verlassen. Doch wenn die Kollegen aus Bad Münstereifel durchgaben, dass sich im Ferienhaus niemand aufhielt …
Und Ed beschrieb den Polizisten die Räumlichkeiten. Er war mehrfach hier gewesen, kannte sich aus, zumindest im Erdgeschoss, den Keller kannte er auch, Werkstatt, Waschraum, Vorratskeller, Heizung. Wahrscheinlich fertigte er Zeichnungen an, damit die Polizisten sich auf Anhieb zurechtfanden.
Bestimmt erklärte Ed ihnen auch, dass es nur eine Möglichkeit gab, ins Haus einzudringen: Seitlich am Haus vorbei in den Garten, dort gab es einen schmalen Plattenweg, und dann durch die Terrassentür.
Aber das machte Lärm und würde die Täter warnen. Dann konnten die Polizisten es nicht schaffen, sowohl sie als auch Albert und Alwine Retling unbeschadet …
Dann mussten sie sich eben einen anderen Plan ausdenken. Oder Ed tat das für sie.
Der Zeitungsfetzen mit dem grobkörnigen Foto und der kurzen Textpassage darunter war vergilbt und fleckig. Er war wohl lange Zeit mehrfach gefaltet gewesen. Einige Kniffe unterteilten das Paar in acht Stücke, als ob sie gegen die innige Umarmung protestierten. Ein Knick lief mitten durch Patrizias Oberkörper.
Mit beiden Armen hielt sie Schramms Taille umschlungen und drückte ihr Gesicht gegen die Brust dieses Scheusals. Schramm hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt und verdeckte damit fast ihren ganzen Kopf. Sehr symbolisch, fand Edmund. Den freien Arm hielt Schramm in die Höhe gereckt, ein lässiger und siegesbewusster Gruß zum Publikum und dem Fotografen hinüber.
Edmund kannte das Bild zur Genüge, es gab nur dieses eine. Er kannte auch den Artikel dazu, die reißerische Schlagzeile.
Rasputin zu sieben Jahren verurteilt
. Der Mann mit dem dämonischen Blick, der nur zur Zeugenbank hinüberschauen musste, um den Hauptbelastungszeugen in ein zitterndes, stammelndes Bündel zu verwandeln. Natürlich konnte der Kerl nicht hexen, er verbreitete nur Angst und Schrecken mit seinem Blick. Das konnten andere auch, sah man doch gelegentlich in Filmen.
Edmund schüttelte sich, ohne es zu bemerken. Mit diesem Foto hatten sie vor Jahren gearbeitet, der Therapeut und die Patientin, die sich unter seiner geduldigen Anleitung von einem Knochengestell in eine wohlproportionierte, hübsche junge Frau verwandelt hatte.
Der Zeitungsausschnitt war bei den Gerichtsunterlagen gewesen, die Paul ihm damals ausgehändigt hatte. Später hatte er den ganzen Papierkram an Paul zurückgegeben. Da hatte sich diese Aufnahme allerdings nicht mehr im Ordner befunden. Patrizia hatte sie während einer Therapiestunde zerrissen.
Edmund sah es noch vor sich: ihre
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