Hollys Weihnachtszauber
Ich hätte dich nicht an sie erinnern sollen.«
»Schon gut – schließlich ist es besser, sich seinen Dämonen zu stellen, nicht wahr?«
»Zu dem Schluss bin ich auch gekommen«, bestätigte ich, »hat allerdings eine ganze Zeit gedauert.«
»Aber dein Verlust liegt auch noch nicht so lange zurück wie meiner: Ich habe Kate vor derart langer Zeit verloren, dass sie im Großen und Ganzen zu einer traurigen, fernen Erinnerung geworden ist … Auch wenn ich, als ich sie verloren habe, wusste, dass ich nie wieder solchen Schmerz fühlen wollte«, fügte er leise hinzu, wohl mehr zu sich selbst als für meine Ohren.
»Ich war acht Jahre verheiratet, und meine beste Freundin ist die Schwester meines Mannes, ich habe Alan also schon seit meiner Kindheit gekannt. Wir waren sehr glücklich miteinander.«
»Dann gefiel es ihm wohl, herumkommandiert zu werden, schätze ich«, mutmaßte er empörenderweise – wieder ganz der Alte, gerade als ich anfing, ihn deutlich sympathischer zu finden.
Ich wollte diese Unterstellung schon entrüstet zurückweisen, als mir die Worte im Hals stecken blieben, denn im Grunde hatte er ganz recht, auch wenn es Alan nicht wirklich gestört hatte. »So war das nicht«, erklärte ich. »Er war gutmütig, aber auch dickköpfig – wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hatte, war er nicht mehr davon abzubringen.«
Wie zum Beispiel mit Joggen anzufangen, was zu seinem Tod geführt hatte …
»Jess sagt, er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen?«
»Ja, kurz vor Weihnachten – und das ist ein weiterer Grund, warum ich seitdem nicht mehr gefeiert habe. Stattdessen habe ich seinen Todestag normalerweise an irgendeinem ruhigen Ort verbracht, wo keiner mich kennt.«
»Dann …« Er stockte. »Ach so, jetzt verstehe ich, warum du dich anfangs so sehr dagegen gesträubt hast, meinen Bitten nachzukommen! Es tut mir leid, wenn du zu einer Feier genötigt wurdest, die du gar nicht wolltest!«
»Ist schon in Ordnung, allmählich glaube ich, all diese erzwungenen Festlichkeiten tun mir im Grunde ganz gut. Und Alan war ein feinfühliger, ruhiger Mann mit ausgeprägtem Sinn für Humor – er hätte nicht gewollt, dass ich seinetwegen zur Einsiedlerin werde, auch nicht einmal im Jahr.«
»Nein, wenn er dich geliebt hat, sicher nicht«, stimmte er mir zu. »Bist du seitdem mit irgendwem ausgegangen …?«
»Mit seinem Cousin Sam.« Ich sagte nicht, dass das gar kein richtiges Rendezvous gewesen war, da ich nicht wie ein Mauerblümchen wirken wollte. »Und wie ist es mit dir?« Ich sah nicht ein, dass nur er lauter intime Fragen stellen sollte!
»Ach, mit Unmengen von Mädchen, aber es war alles nichts Ernstes, bis Coco kam: Sie hatte irgendetwas … Verletzliches an sich. Ich dachte, sie bräuchte jemanden, der sich um sie kümmert. Und außerdem ist sie natürlich unheimlich hübsch.«
»Stimmt«, sagte ich und kam mir viel zu groß, hässlich und tüchtig vor, alles keine besonders attraktiven Eigenschaften. »Sie hat etwas von einem hilflosen kleinen Mädchen an sich, nicht wahr? Aber letztlich wäre es, als würde man auf ewig mit einem quengeligen Kleinkind zusammenleben.«
Ich hoffte, das klang nicht allzu sehr nach Saure-Trauben-Politik.
Wir stapften ein Stück weiter auf das Haus zu, und dann fragte er aus heiterem Himmel: »Die Großmutter, die dich aufgezogen hat – ist das dieselbe, deren Tagebücher du gerade liest?«
»Ja«, gestand ich widerstrebend, »auch wenn es nicht so sehr ein Tagebuch ist als vielmehr ein Bericht über ihre Zeit als Krankenschwester während des Krieges. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, was ein bisschen nach Charles-Dickens-Roman klingt, aber sie erlitt ein akutes Leberversagen. Und mein Großvater war sehr viel älter als meine Oma, sodass ich mich kaum noch an ihn erinnere.«
»Dein Leben wirkt wie eine einzige Abfolge von Tragödien!«
»Nicht wirklich, nicht mehr als bei anderen Leuten. Und deine Geschichte klingt auch nicht viel besser, wenn man bedenkt, dass du zuerst deine Frau und dann deine Mutter und deinen Vater verloren hast.«
»Na, lass uns nur nicht in Selbstmitleid verfallen«, sagte er forsch. »Immerhin war Weihnachten in Old Place dank Noel immer einer der Höhepunkte des Jahres, komme, was da wolle – er liebt dieses Fest über alle Maßen. Und ich eigentlich auch – dieses Jahr wegbleiben zu wollen, war eine blöde Idee. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich ganz vergessen hatte, dass auch
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