Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
Sonntag bevor sie verschwunden ist?«
    Der Fish Man nickt noch einmal.
    Ein kleiner Riss im Panzer. Bei den früheren Vernehmungen hatte der Ladenbesitzer erklärt, das Mädchen vor dem Mord seit zwei Wochen nicht mehr gesehen zu haben, und Pellegrini hatte keinen Zeugen auftreiben können, der diese Aussage definitiv widerlegen konnte. Und jetzt erzählt der Mann aus eigenem Antrieb von dem Besuch des Mädchens in seinem Laden zwei Tage vor dem Mord, und nur wenige Tage nach dem Brand, der den Laden in der Whitelock Street zerstörte.
    »Was wollte sie, als sie zu Ihnen kam?«
    »Sie hat gefragt, ob ich nach dem Feuer Hilfe brauche.«
    Pellegrini denkt fieberhaft nach. Lügt er, weil er die chemische Analyse entkräften möchte und denkt, dass ein früherer Besuch im ausgebrannten Laden die Flecken auf der Hose erklärt? Oder hat er bei den damaligen Vernehmungen gelogen, als er seinen Kontakt zu dem Mädchen so weit wie möglich in die Vergangenheit verlegte? Sagt er jetzt die Wahrheit, weil er sich nicht mehr an seine früheren Antworten erinnert? Ist er einfach nur verwirrt? Oder ist es ihm jetzt erst eingefallen?
    »In unseren früheren Gesprächen haben Sie gesagt, Sie hätten Latonya zwei Wochen vor ihrem Verschwinden zuletzt gesehen«, meint Pellegrini. »Und nun sagen Sie, es sei am Sonntag davor gewesen.«
    »Zwei Wochen?«
    »Zwei Wochen, haben Sie gesagt.«
    Der Fish Man schüttelt den Kopf.
    »Das haben Sie damals gesagt. Ich habe es aufgeschrieben.«
    »Daran erinnere ich mich nicht.«
    Etwas hat sich verändert. Foster lenkt den Ladenbesitzer vorsichtig zurück an den Rand der Klippe, zu den chemischen Analysen und der logischen Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt.
    »Wenn Sie das Mädchen nicht in den Laden gebracht haben, wer dann?«
    Der Fish Man schüttelt den Kopf. Pellegrini, der auf die Uhr blickt, stellt fest, dass sie bereits seit fünf Stunden hier sitzen. Die Zeit ist nicht unwichtig: Ein Geständnis, das nach einer sechs- oder siebenstündigen Vernehmung abgegeben wird, hat eine weit größere Beweiskraft als ein Geständnis nach einem zehn- oder zwölfstündigen Verhör.
    Jetzt oder nie, denkt Pellegrini, als er seine letzte Karte aus dem Ärmel zaubert. Das Foto, das er aus der Jackentasche zieht, zeigt das gegen Ende der Siebzigerjahre aus der Montpelier Street verschwundene Mädchen, das eine große Ähnlichkeit mit Latonya hat. Als er es vor einigen Monaten in einem Zeitungsarchiv entdeckte, hat er sich eine Kopie anfertigen lassen und sie für diesen Augenblick aufgehoben.
    »Hier«, sagt Pellegrini, während er dem Verdächtigen die Aufnahme gibt. »Wissen Sie, wer das ist?«
    Der Fish Man scheint sich jetzt von Fosters Angriffen doch bedrängt zu fühlen. Als er auf das Foto blickt, sinkt er unversehens in sich zusammen. Pellegrini sieht, wie er nach vorn kippt. Er senkt den Kopf und umklammert die Tischkante.
    »Kennen Sie das Mädchen?«
    »Ja«, sagt er leise. »Ich kenne sie.« Er nickt, und man sieht, dass er betroffen ist.
    Der Mann, der bei den beiden früheren Vernehmungen unerschütterlich wie ein Stein gewesen ist, ist kurz davor, die Fassung zu verlieren. Er steht am Rand der Klippe, und vom Abgrund trennt ihn nur noch ein Schritt.
    »Woher kennen Sie das Mädchen?«
    Der Fish Man hält sich an der Tischkante fest und zögert.
    »Woher kennen Sie sie?«
    Ganz plötzlich aber ist der Augenblick auch schon wieder vorüber. Was immer ihn an dem Foto aufgeschreckt haben mochte, er hat es überwunden. Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, und für einen flüchtigen Augenblick sieht er Pellegrini drohend in die Augen. Wenn du mich kriegen willst, scheint er zu sagen, reicht das nicht. Wenn du mich haben willst, musst du bis zum Letzten gehen.
    »Ich habe gedacht, es ist ein Foto von Latonya«, sagt er dann.
    Den Teufel hast du, denkt Pellegrini. Die beiden Vernehmer tauschen einen Blick. Fosters nächste Attacke beginnt mit einem Flüstern, und sein Gesicht nähert sich dem Verdächtigen auf ein paar Zentimeter.
    »Hören Sie. Hören Sie mir zu? Ich werde Ihnen jetzt sagen, wie es wirklich war. Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß …«
    Der Fish Man starrt ihn provozierend an.
    »Denn ich kenne Leute wie Sie, bin schon vielen, vielen anderen Ihrer Art begegnet. Ich weiß, was Sie für einer sind, ich weiß alles über Sie. Tom hier weiß es auch. Wir alle wissen Bescheid, denn wir haben Leute wie Sie schon oft gesehen. Sie mögen kleine Mädchen, und die Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher