Hongkong 02 - Noble House Hongkong
»Und danke für diese Papierchen! Ja, danke, aber …« Er unterbrach sich, Tränen der Wut nahe. »Mir wird manchmal übel, wenn ich denke, was unsere eigenen Leute für Geld alles tun! Wissen Sie, was ich meine?«
»O ja!« Crosse sagte es sanft und mitfühlend, aber bei sich dachte er: Wie naiv du doch bist, Stanley!
Nach einigen Minuten verabschiedete er sich und kehrte ins Polizeipräsidium zurück, wo er die Fingerabdrücke seiner privaten Kartei einverleibte. Dann stieg er abermals in seinen Wagen und fuhr ohne ein bestimmtes Ziel in Richtung Westpoint. Sobald er sicher war, daß ihm niemand folgte, hielt er bei der nächsten Telefonzelle. Er wählte eine Nummer, und wenige Augenblicke später wurde der Hörer am anderen Ende abgehoben, aber der Angerufene meldete sich nicht. Sofort ahmte Crosse Arthurs trockenes Hüsteln nach. »Mr. Lop-sing, bitte!«
»Hier gibt es keinen Mr. Lop-ting. Tut mir leid, aber Sie haben sich verwählt.«
Befriedigt erkannte Crosse Suslews Stimme. »Ich möchte eine Nachricht hinterlassen«, setzte er das Erkennungsgespräch mit der gleichen Stimme fort, die sowohl er wie auch Jason Plumm am Telefon gebrauchten.
»Und?« fragte Suslew.
Crosse lächelte. Es machte ihm Freude, Suslew düpieren zu können. »Ich habe das Material gelesen. Unser Freund auch.« ›Unser Freund‹ war Arthurs Codename für ihn, Roger Crosse.
»Ah! Und?«
»Wir finden es beide exzellent.« ›Exzellent‹ war ein Codewort und bedeutete Fälschung oder Desinformation.
Eine lange Pause. »Und was …?«
»Kann unser Freund Sonnabend um vier Kontakt mit Ihnen aufnehmen?« Kann Roger Crosse heute abend über ein sicheres Telefon Kontakt mit Ihnen aufnehmen?
»Ja. Danke für Ihren Anruf!« Ja. Ich habe Ihre Nachricht verstanden.
Crosse hängte den Hörer auf, warf eine zweite Münze ein und wählte.
»Hallo, Jason, hier spricht Roger Crosse«, meldete er sich freundlich.
»O hallo, Oberinspektor, was für eine angenehme Überraschung!« antwortete Plumm. »Bleibt es bei unserer Bridgepartie morgen?« Konnten Sie sich über den Inhalt der AMG-Berichte informieren?
»Ja«, antwortete Crosse und setzte beiläufig hinzu: »Aber könnten wir statt um sechs um acht anfangen?« Ja, wir sind in Sicherheit, es sind keine Namen genannt.
Ein Seufzer der Erleichterung. »Soll ich es den anderen sagen?« Sehen wir uns heute abend wie verabredet?
»Nein, es ist nicht nötig, sie heute abend zu stören, das hat ja morgen auch noch Zeit.« Nein, wir treffen uns morgen.
»Fein. Danke für Ihren Anruf!«
Überaus zufrieden mit sich, stieg Crosse wieder in seinen Wagen. Was würden Suslew oder seine Chefs wohl sagen, wenn sie wüßten, daß ich der wirkliche Arthur bin, nicht Jason Plumm? Und daß Jason der einzige ist, der das Geheimnis kennt? Er lächelte in sich hinein.
Wütend wäre das KGB. Sie haben was gegen Geheimnisse, die sie nicht kennen. Und noch wütender wären sie, wenn sie wüßten, daß ich es war, der Plumm angeworben und Sevrin ins Leben gerufen hat, und nicht umgekehrt.
Es war gar nicht schwer gewesen. Als Crosse in den letzten Wochen des Krieges Nachrichtenoffizier in Deutschland war, erfuhr er von privater Seite, daß Plumm, ein geübter Fernmeldetechniker, für die Sowjets einen Geheimsender betrieb.
Knapp einen Monat später hatte er Plumm kennengelernt, aber da war der Krieg auch schon zu Ende. Er speicherte die Information, um sie später einmal zu verwenden – um sie einzutauschen oder für den Fall, daß es opportun sein könnte, sich auf die andere Seite zu schlagen. In der Spionage braucht man immer Geheimnisse, um Tauschhandel damit zu treiben, und je inhaltsschwerer die Geheimnisse, desto sicherer ist man, denn man weiß schließlich nie, wann man selbst, ein Untergeordneter oder ein Übergeordneter einen Fehler macht und man nackt und hilflos dasteht wie ein gerupftes Huhn. Wie Woranski. Wie Metkin. Wie Dunross mit seinen gefälschten Berichten. Wie Rosemont mit seinem naiven Idealismus. Wie Gregor Suslew, dessen Fingerabdrücke die CIA jetzt in ihrer Kartei hat und der damit in eine Falle getappt ist, die ich ihm gestellt habe.
Crosse lachte kollernd auf. Sich von einer Seite auf die andere schlagen und die eine gegen die andere ausspielen, das macht das Leben spannend, dachte er. Ja, Geheimnisse garantieren ein aufregendes Leben.
5
21.45 Uhr:
Pok Liu Tschau war eine kleine Insel südwestlich von Aberdeen, und das Dinner das beste Essen, das man Bartlett je
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