Hueter der Daemmerung
bitte, Senora Isda … aber es ist Zeit für die Privataudienzen. Soll ich die erste Gruppe hereinschicken? Es ist die von der Mexico City-Universität.« Sie würdigte Raziel keines Blickes, denn in seiner Engelsgestalt war er so unsichtbar wie Luft für sie. Als Raziel einfiel, dass diese erste Gruppe die Engeljäger waren, stieß er den Gedanken von sich, so fest er konnte.
»Geben Sie uns noch ein paar Minuten, bevor Sie sie hereinschicken«, wies Isda sie an.
Nachdem die Assistentin sich wieder entfernt hatte, lehnte Isda sich zurück und fixierte den psychisch gefesselten Raziel, der vor ihnen hing. Die Mienen der Zwölf waren ausdruckslos. Du hast dir unsere Warnung zum Thema Mäßigung und der Würde der Engel anscheinend nicht zu Herzen genommen, Raziel, sagte sie und wechselte auf die mentale Sprachebene. Ein Jammer.
Wieder schrie er auf, als er merkte, wie er gewaltsam in seinen menschlichen Körper gepresst wurde. Das Gefühl war außerordentlich unangenehm.
»Sich zu einem Anschlag auf uns zu verschwören ist Hochverrat«, fuhr Isda fort und ein Chor mentaler Stimmen fiel in ihre Rede ein. »Und vor deiner Hinrichtung werden wir sämtliche Details aus dir herausbekommen. Fürs Erste, schau gut zu, wenn wir dir zeigen, dass es möglich ist, sich zu nähren, ohne sich zu Maßlosigkeit hinreißen zu lassen.«
In seinem menschlichen Körper fühlte Raziel sich genauso wehrlos wie zuvor, es kam ihm vor, als wäre er von Kopf bis Fuß gefesselt. Er lehnte auf wackligen Beinen an der Wand und ließ seine Gedanken nach außen hin so teilnahmslos wie möglich wirken. Doch hinter dieser Fassade schäumte er vor Wut. Wenigstens hatte er jetzt einen Logenplatz – und oh, wie würde er das, was gleich passierte, genießen. Er behielt die Tür im Auge und war dankbar, dass er etwas abseits stand. Er betete nur, dass weder Kylar noch Willow ihn sehen würden, bevor es zu spät war.
Die Zwölf nahmen ihre Engelsgestalt anstiegen in die Höhe und bildeten eine Reihe, deren feuriges Leuchten sich noch weiter verstärkte, als sie ihre Frequenz verringerten, damit die Menschen sie sehen konnten. Und wie eine kleine dünne Ranke schlängelte sich Charmeines zerknirschter Gedanke in seinen Kopf: Es tut mir leid, Raz, Sie haben mich ausgeforscht, als ich es nicht erwartet habe. Ich konnte sie einfach nicht mehr abblocken.
Innerlich zuckte Raziel mit den Schultern, jetzt war es eh zu spät. Dann öffnete sich die Tür und sechs junge Erwachsene kamen im Gänsemarsch ins Zimmer – drei Jungen, drei Mädchen.
Wo war Kylar? Raziel konnte den Gedanken gerade noch zurückhalten, bevor er ihm entschlüpfte. Waren dies die Attentäter oder nicht? Schnell suchte er nach seiner Verbindung zu Willow. Sie war verschwunden.
Sie wusste es. Sein Pulsschlag verdoppelte sich, und Isda warf ihm einen scharfen Blick zu. Er wand sich vor Schmerzen, als sie unvermittelt in seine Gedanken eindrang. Und er wusste, dass es ihm diesmal nicht geglückt war, die Identität der Gruppe zu verheimlichen. Mit Unheil verkündender Ruhe nahmen die Zwölf das Vorhaben der Menschen zur Kenntnis, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
Das Team stand nervös vor ihnen und blinzelte wegen des hellen Lichts. Eine große, auserlesen schöne schwarze Frau mit Unmengen langer Zöpfchen nickte den Zwölfen zu. Auf Spanisch sagte sie: »Guten Tag, wir kommen von der Universität von Mexico City. Es ist uns eine Ehre –«
Erschrocken unterbrach sie sich, als die Zwölf geschlossen nach vorne stoben. »Jetzt!«, schrie sie, während sie sich duckte und zurückwich.
Ein paar AKs fummelten nach ihren Waffen, andere hatten sie augenblicklich in der Hand und eröffneten das Feuer. Das Zimmer verwandelte sich in ein Chaos aus schlagenden Flügeln und grellen Explosionen, als die ersten Kugeln ihr Ziel fanden. Raziel spürte die sprachlose Wut des Konzils darüber, dass sie die AKs nicht hatten überrumpeln können, und darüber, dass von allen Kreaturen ausgerechnet Menschen sie vernichteten. Da er so dicht neben ihnen stand, ratterte der Schmerz durch ihn hindurch wie Maschinengewehrfeuer, als ein paar der schallgedämpften Schüsse ihre Opfer fanden. Dennoch war es eher sein Geist als sein Körper, der in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er hatte immer angenommen, dass die physische Verbindung zu den Zwölfen die eigentlich lebenswichtige war – aber als sich ein Mitglied der Zwölf nach dem anderen in Nichts auflöste, wusste er, dass es die mentale Verbindung
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