Hüter der Flamme 02 - Das Schwert des Befreiers
entfernt an ihm vorbeifuhr. Am Bug stand der Junge, der wie Ohlmin aussah, neben Ganness. Er hatte einen Arm um die Schultern des Kapitäns gelegt. Diese Kameradschaft täuschte, denn die andere Hand ruhte auf dem Dolch.
Auf dem ganzen Schiff arbeiteten dreißig, vielleicht vierzig Fremde in Segeltuchtuniken, die sich nie weit von ihren Armbrüsten oder Schwertern entfernten.
Aha, so lief das also! Ganness' gesamte Mannschaft war durch Sklavenhändler ersetzt worden. Wahrscheinlich lag die Mannschaft in Ketten unter Deck. Es war aber auch möglich, daß sie auf dem Schiff der Sklavenhändler gefangen gehalten wurde. Es war aber auch nicht auszuschließen, daß sie tot war.
Mit unerträglicher Langsamkeit fuhr die Warzenschwein an der Insel vorbei. Achtern war kein Posten aufgestellt. Karl stieß sich vom Felsen ab und schwamm hinter dem Schiff her, wobei er gegen das Gewicht des Schwerts kämpfen mußte, um den Kopf über Wasser zu halten.
Das Schiff wurde noch langsamer. Der große Klüver flatterte im Wind, während die Mannschaft das kleine Hauptsegel laufen ließ. Sie drehten aber nicht bei oder ankerten. Die Warzenschwein trieb auf den sandigen Strand zu.
Also das war der Plan: Die Sklavenhändler würden das Schiff auf Grund setzen, als wären sie ganz normale Händler. Dann warteten sie, bis vom Erik-Clan genug Männer an den Strand kamen, um die Ladung zu löschen. Durch das seichte Wasser konnten sie dann ans Ufer stürmen und die ahnungslosen Mel überfallen.
Mal sehen, ob ich in diesen Plan nicht ein paar Löcher schneiden kann.
Es wäre schön, jetzt Walter Slowotski dabeizuhaben. Walter hätte einen Weg gefunden, an Bord zu gelangen, ohne daß es einer gemerkt hätte. Dann hätten sie beide wenigstens die Hälfte der Sklavenhändler erledigt, ehe jemand die Eindringlinge bemerkte.
Bestimmt hätte Walter auch noch sämtliche Geldbeutel geklaut und die Schwerter stumpf gefeilt und dann alle Sklavenhändler mit den Riemen der eigenen Sandalen zusammengeknotet, ohne daß man ihn erwischt hätte.
Karl war allein, mußte es mit allen aufnehmen, den Zauberer schnell ausschalten und sich dann so gut wie möglich verteidigen, bis die Hilfe kam.
Und das ist einfach ein beschissener Plan! Zu viel mußte klappen. Im Grunde würde es prima funktionieren, wenn Karl den Magier der Sklavenhändler schnell ausschalten konnte, wenn er nicht zu erschöpft war, die ganze Bande abzuwehren, wenn die Eriksen schnell genug kamen.
Zu viele verdammte Wenns.
Aber was half es? Ich bin kein Walter Slowotski; aber ich müßte doch im Walterschen Stil erkunden können.
Er erreichte das Heck der Warzenschwein und klammerte sich verzweifelt an das große Ruder. Er keuchte. Sein Rücken und seine Schenkel schmerzten grauenvoll. Die Sehnen in den Schultern brannten wie heiße Drähte. Das Schwimmen mit dem Schwert auf dem Rücken hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er geglaubt hatte.
Das Ruder war glitschig und von irgendeinem schleimigen grünen Schwamm bewachsen. Gute zehn Fuß über ihm erhob sich die Schiffsreling an Deck. Genausogut hätte sie eine Meile hoch sein können. Es gab nichts, wo er sich hätte festhalten können. Selbst ausgeruht hätte er es nicht mit den Fingernägeln geschafft.
Auf halber Höhe lag Ganness' Kabine. In den besseren Tagen der Warzenschwein war die Kapitänskajüte ein heller, luftiger Raum gewesen. Das kam durch ein großes Bullauge, dessen Scheibe aus Glasvierecken bestand, die man aufschieben konnte.
Inzwischen war das Glas längst zerbrochen, und man hatte das Bullauge mit Brettern zugenagelt; aber vielleicht konnte Karl den Rahmen immer noch schieben, wenn er nur einen Halt fand, ohne sich an den rostigen Nägeln in den Brettern zu verletzen.
Keuchend zog Karl sich mit letzter Kraft auf das Ruder hinauf. Dann stand er langsam mit zitternden Beinen auf, hielt mühsam das Gleichgewicht und erreichte mit den Händen den Fensterrahmen.
Er versuchte, das mit Brettern vernagelte Bullauge zu verschieben.
Nichts rührte sich. Nach den vielen Jahren, in denen das Holz in der heißen Sonne ausgetrocknet und unter der kühlen Gischt wieder aufgequollen war, saß das Fenster so fest wie angeschweißt.
Wenn er fester drückte, bestand die Gefahr auszurutschen und ins Wasser zu klatschen. Entweder das, oder seine Hände würden abrutschen und sich an den Nägeln aufreißen.
Die Nägel - natürlich! Er balancierte noch waghalsiger, griff über die Schulter nach dem Schwert, holte es herunter,
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