Hütet euch vor Harry
»Wenn ich die Zähne zusammenbeiße, klappt es schon.«
»Was wollten die eigentlich von dir?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich einfach nur Zoff machen. Mich niederwalzen, so zum Spaß. Das sind welche, die nicht richtig ticken, aber sie werden immer schlimmer, verdammt.«
»Okay, dann laß uns gehen.«
»Moment noch. Ich weiß nicht einmal, wie du heißt. Ich bin Johnny Conolly.«
Diesmal nahm der Retter die hingestreckte Hand und stellte sich ebenfalls vor. »Du kannst Harry zu mir sagen, Johnny. Einfach Harry, mehr nicht…«
***
Für Sheila Conolly brach im ersten Moment eine Welt zusammen, als sie ihren Sohn sah. Verschmutzt, das Blut auf seinem Gesicht, die müden Augen, das verzerrte Grinsen, und sie sah einen fremden, etwas älteren Jungen, der neben Johnny stand, ihn sogar noch stützte, als wäre er sein Helfer.
»Wie siehst du denn aus? Lieber Himmel, Johnny, was ist mit dir passiert?«
»Erstens kann ich mit meinem Bike nicht mehr fahren, und zweitens hat man mich zusammengeschlagen. Es waren drei Skins, aber ich habe Glück gehabt, denn Harry kam und mischte sie auf.«
Das war in Kurzfassung der Bericht, den Sheila Conolly erst einmal verdauen mußte.
»Willst du uns nicht hineinlassen, Mumm?«
»Aber sicher doch, kommt schnell – bitte.« Sie redete hastig und trat ebenso hastig zur Seite.
Die beiden Jungen betraten das Haus. Harry schaute sich um, sagte aber nichts, während Johnny seiner Mutter klarmachte, daß er eine Dusche nehmen wollte, um sich anschließend mit diesem Branntwein einzureiben, den auch sein Vater benutzte.
»Steht alles im Bad.«
»Bis gleich dann, Harry.«
»Ich warte.«
Sheila nickte dem fremden jungen Mann zu. »Kommen Sie, ich werde Ihnen etwas zu…«
»Bitte, Mrs. Conolly. Ich heiße Harry. Sie brauchen mich nicht zu siezen.«
»Okay, Harry. Ist mir auch lieber so. Komm ins Wohnzimmer, oder willst du lieber auf der Terrasse sitzen?«
»Das ist mir gleich.«
Sie gingen auf die Terrasse. Zwar versteckte sich die Sonne wieder hinter Wolken, aber es war warm genug, um sich draußen aufhalten zu können. Auf den Gartenstühlen machten sie es sich bequem und streckten die Beine aus. Ein Kühlwagen mit Getränken stand bereit, und Harry entschied sich für ein Glas mit Bitter Lemon.
»So, und nun berichte mal.«
Der junge Mann nahm den ersten Schluck und erzählte. Er ließ nichts aus, Sheila hörte gespannt zu. Ihr Gesicht verlor dabei an Farbe, als sie erfuhr, in welch eine schlimme Gefahr ihr Sohn Johnny geraten war. Der hätte wirklich für sein Leben gezeichnet werden können, und diesmal waren es keine schwarzmagischen Wesen, die ihn attackiert hatten, sondern brutale Schläger.
»Und die drei Kerle hast du geschafft?« flüsterte sie.
Harry hob die Schultern und wiegelte ab. »So schwer war das nicht. Ich bin ganz gut ausgebildet. Ich habe oft trainiert und bin auch ziemlich fit.«
»Ja, das war gut.«
»Aber Ihr Sohn hatte auch keine Angst. Wenn ich daran denke, wie er dem Anführer das Eis auf den Glatzkopf geklatscht hat, das ist schon erste Sahne gewesen.«
Sheila lachte auf. »Ja, da hast du recht. Angst kennt er nicht. Er würde sich auch immer für schwächere Personen einsetzen. Mein Mann und ich haben ihn dazu erzogen.«
»Kann ich Johnnys Vater mal kennenlernen?«
Sie nickte. »Das hätte ich mir auch gewünscht. Aber leider ist er nicht da. Ich weiß auch nicht, wann er kommt. Bei seinem Job kann das erst morgen sein.«
»Ah so.«
Harry fragte nicht weiter. Er lächelte still vor sich hin, was Sheila aber nicht auffiel. Sie war zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt.
Für eine Weile entstand zwischen den beiden eine Schweigepause. Im Garten war es angenehm. Der Sommerwind strich über die Terrasse hinweg, die Vögel hatten ein kleines Paradies gefunden, sie zwitscherten und trällerten, als gehörte die ganze Welt ausschließlich ihnen.
Sheila gehörte zu den Frauen, die immer mehr wissen wollten. »Ich habe dich hier in der Gegend nie gesehen, Harry. Kommst du nicht von hier?«
»So ist es.« Er schaute auf sein Glas, das er zwischen den Händen hielt.
»Ich bin mit der Schule fertig, habe jetzt Ferien und dachte mir, daß ich mir die Welt ein wenig anschaue, wobei ich mich auf Großbritannien beschränke. Hier in London fange ich an, denn ich selbst komme aus Cardiff.«
»Aha. Wie bist du denn unterwegs? Per Autostopp?«
»Ja.«
»Und das klappt immer?«
»Wenn nicht, nehme ich den Zug. Aber das kommt nur selten
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