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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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alles war so undeutlich. Sogar die Töne und Geräusche waren verzerrt. Die Stimme klang wie eine Schallplatte, die zu langsam abgespielt wurde.
    »In einem solchen Restaurant gibt es nicht viel Bargeld.«
    Noch immer Caroline. Das war noch immer Caroline, die da redete. Dann ein Durcheinander von Worten, einige schnell, andere langsam.
    »Die Bar … Registrierkasse … nur dort ist Bargeld.«
    Dann glaubte er zu hören, noch immer Caroline: »… hole es … zwei-, dreitausend … hole es Ihnen …«
    Und dann war da ein Brüllen im Raum. War das Caroline? Nein, es klang tiefer. Wütender. Er hörte das Wort: Mehr. Und abermals, tiefer und wütender: Mehr. Zerstören. Warum.
    Und diese Worte: Schlampe. Hure. Fotze.
    Jack versuchte aufzustehen. Er drehte den Kopf, und diese Bewegung war eine reine Qual. Weitere Worte wurden jetzt ausgespuckt. Aber sie waren Unsinn. Der Unsinn eines Wahnsinnigen.
    Reiß die Wolle runter.
    Was bedeutete das?
    Wollig hier … der Wille ist stark … Wolle candy brechen …
    Was hieß das? Warum verstand er das nicht?
    Wollig … candy … für immer …
    Er sah, wie die Person mit der Maske sich Caroline näherte. Er sah, wie sie die Hand nach ihr ausstreckte. Die Halskette packte, die wunderschöne Brillantkette, sie von Carolines Hals riß. Sah die Hand erneut nach vorn schießen, hörte das Geräusch, als die Faust Caroline ins Gesicht schlug. Hörte sie schreien. Und jetzt stemmte Jack sich hoch. Er mußte etwas tun. Unbedingt. Der Schmerz durchraste ihn. Er riß ihm den Kopf nach hinten, und er sah einen Lichtblitz. Er wußte, ein solches Licht gab es nicht, nicht in diesem Zimmer, es mußte der Schmerz sein, der ihn blendete, aber gegen den Schmerz konnte er ankämpfen, er mußte sich dagegen wehren, daher machte er weiter, und seine Arme fanden Widerstand, er stieß den Räuber zurück, er war sich dessen ganz sicher. Und dann war da eine Explosion. Laut. Mitten in seinem Kopf. Und da war mehr Schmerz. Ein neuer Schmerz. Er machte ihm Angst. Dann eine weitere Explosion. Diese leiser. Und eine dritte sofort danach. Noch leiser.
    Und dann war seine Angst verflogen, denn plötzlich spürte er keinen Schmerz mehr. Nur eine Weichheit. Wie ein angenehmer Traum. Und kein blendendes Licht mehr. Statt dessen eine sanfte weiße Wolke. Er hörte Caroline wieder. Warum schrie sie? Es war doch jetzt vorbei, oder nicht? Es gab nichts mehr, wovor man Angst haben müßte. Es gab keinen Schmerz mehr.
    Er streckte die Hand nach ihr aus, um ihr mitzuteilen, daß alles in Ordnung war. Um ihr zu zeigen, daß sie in Sicherheit war. Aber er schien sie nicht festhalten zu können. Sie schien ihm zu entgleiten.
    Und jetzt spürte er etwas Merkwürdiges. Als ob etwas aus ihm hinaussickerte. Er konnte nicht sagen, was es war. Aber es fühlte sich gut an, und das war so merkwürdig. Er wußte, daß es schlecht sein mußte, aber das Gefühl war so unendlich gut.
    Und plötzlich wußte er, was aus ihm hinausfloß. Was wie ein schäumender Fluß aus ihm hinausströmte, unwiederbringlich.
    Es war das Leben, das ihn verließ.
    Er hörte noch einen letzten Laut, eine letzte Explosion. Sie machte ihm überhaupt keine Angst mehr. Sie war zu weit weg. Zu leise. Es war wie ein Traum, schön, ruhig und schmerzlos.
    In seinem Traum streckte Jack erneut die Hand nach Caroline aus. Aber sie war weg. Er schloß die Augen.
    Und der Traum nahm ihn auf in eine tiefe, stille und endlose Dunkelheit.

Zehn
    »Okay, Leute. Es wird Zeit, unseren Humpty Dumpty wieder zusammenzuflicken. Er hat über zwei Liter Blut verloren, vorwiegend aus Wunden im Becken und in der Hüfte. Wenn wir ihn am Leben halten wollen, müssen wir zuerst seinen Flüssigkeitsverlust ausgleichen. Wir stellen um von Plasmaexpandern und Kochsalzlösung auf das große Kaliber. Sofort! Der arme Kerl braucht Blut, und zwar schnell. Er blutet aus allen möglichen Löchern.«
    Das waren die letzten Worte, die für die nächsten Minuten gesprochen wurden, während dicke Transfusionsschläuche die dünneren Notschläuche ersetzten, die von den Männern im Krankenwagen hastig angelegt worden waren. Dickere Katheter wurden fachgerecht in die Zentralvenen des Halses gelegt. Es war, als ob eine Gruppe fleißiger und tadelloser Teppichknüpfer eine wertlose und zerfetzte Fußmatte reparierten. Ihre Hände wanderten geschickt an ihm entlang, knüpften fast im gleichen Takt und schlossen die Lebensleitungen an. Sobald das Nähen erledigt war, wurden die Katheter mit

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