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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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sie wie eine Faust: Ganze 175 Euro bekam sie als »Gratifikation«. Da war ihre Freude aufs Christkind dahin. Und der Wald glänzte auch nicht mehr weihnachtlich.
    Der Biber hatte den Weihnachtsbaum gefällt.
    Â§ 25 Irrenhaus-Ordnung: Es stimmt nicht, dass Leiharbeiter immer weniger bekommen als das Stammpersonal. Zum Beispiel werden sie in der Kantine mit den höheren Preisen verwöhnt!

    Der Diener Gottes – ein Leiharbeiter!
    Wo soll die Nächstenliebe wohnen, wenn nicht hier: in der Caritas, dem »Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche«? Wo, wenn nicht hier, sollten Mitarbeiter fair und menschenwürdig behandelt werden? Wer, wenn nicht ein kirchlicher Arbeitgeber, könnte der profitgierigen Wirtschaft, die nur den Namen des schnellen Gewinns heiligt, als moralisches Vorbild dienen?
    In der Tat beherzigt die Caritas das Gebot »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« – aber nur, was die letzten beiden Wör­ter angeht: »sich selbst«! Mit der Raffinesse eines Schmugglers geht der kirchliche Arbeitgeber beim Anheuern vor. Eine ­eigene Leiharbeitsfirma, die »Caritas Verein Altenoythe Dienstleistungsgewerkschaft«, schleust die Arbeiter zu Schnäppchen­preisen in den Weinberg des Herrn. Diese Geliehenen verrichten für den Caritas-Verein Altenoythe die gleiche Arbeit wie ihre stammbeschäftigen Kollegen, sind aber in höherem Maß auf den »Lohn Gottes« angewiesen; das irdische Gehalt lässt zu wünschen übrig.
    Das bekam der Diplom-Psychologe Uwe Bening zu spüren. 58 Als Stammmitarbeiter hatte er bei der Caritas 3600 Euro brutto im Monat verdiente, dieses Gehalt entsprach seiner Ausbildung. Später wurde ihm dieselbe Tätigkeit erneut angeboten – diesmal jedoch über einen Vertrag als Leiharbeitskraft. Zu 800 Euro weniger Gehalt!
    Ein Drittel der rund 750 Mitarbeiter steht mittlerweile nicht mehr direkt bei dem Caritas-Verein unter Vertrag, sondern legt sich als Zeitarbeiter ins Zeug. Über diesen Hintereingang werden die meisten neuen Mitarbeiter ins Unternehmen gelotst. Das senkt die Personalkosten und sorgt dafür, dass der Anteil der Stammbelegschaft immer mehr abnimmt.
    Der Diener Gottes – nur noch ein Leiharbeiter!
    Ursprünglich sollten Zeitarbeiter Auftragsspitzen abfangen. Wenn eine Fabrik einen Sonderauftrag bekam, benötigte sie vor­übergehend zusätzliches Personal. Die Zeitarbeiter kamen und gingen mit der Arbeitsflut. Solche Einsätze unterstützten die Stammbelegschaft, sonst wären die Auftragsspitzen kaum zu schaffen gewesen.
    Bis 1985 trug die Leiharbeit ein enges gesetzliches Korsett: ­Maximal drei Monate durften Zeitarbeiter beschäftigt werden. Dieses Korsett franste in den nächsten beiden Jahrzehnten durch geschickte Lobbyarbeit der Firmen aus: auf 6, 9, 12 und 24 Monate – bis es 2003 komplett gesprengt wurde. 59
    Wolfgang Clement, der als »Super-Minister« dieses Korsett aufgerissen hatte, machte drei Jahre später als Lobbyist den Sack zu: Für Adecco, einen der Global Player der Zeitarbeit, trat er als Vorsitzender des Adecco-Instituts zur Erforschung der Arbeit an. Als Ziel gab Clement an, er wolle den Anteil der Zeitarbeiter in Deutschland verdreifachen. 60 Ob er seine Einkünfte als Lobbyist wohl auch verdreifacht hat?
    Heute ist die Zeitarbeit zu einem juristischen Schlupfloch verkommen, durch das sich qualifiziertes Personal dauerhaft zum Spottpreis heuern lässt. Die Leihmitarbeiter sind von der Stammbelegschaft nicht zu unterscheiden: Sie machen dieselben Jobs. Sie bleiben über Jahre in der Firma. Nur sind sie billiger, williger, leichter loszuwerden. Moderne Irrenhaus-Sklaven.
    Ob Krankenhäuser oder Zulieferer, Konzerne oder Busbetriebe, Fabriken oder Botendienste: Immer mehr Firmen gründen Zwillingsunternehmen in der Zeitarbeitsbranche. Bereits 2007 fand eine Verdi-Studie heraus: Nahezu jeder fünfte Leiharbeiter war über eine Tochterfirma im eigenen Betrieb tätig. 61 Das Prinzip ist einfach: Die linke Hand reicht der rechten Hand das Personal kostengünstig rüber, und am eigentlichen Tarif vorbei.
    Ein Busfahrer aus Schleswig-Holstein schilderte mir, dass sein Verkehrsbetrieb neue Fahrer nur noch über eine hauseigene Personalagentur anheuert. Diese Agentur – nennen wir sie »Transport-Personal KG « – verfügt über einen eigenen Firmensitz, einen

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