Ich bin ein Genie und unsagbar böse
so hingebungsvoll an, dass ich schon glaubte, es wolle mich fressen. Das andere
Tier war dünn und hatte das Gesicht einer Ratte. Es lächelte, wenn es mich ansah. Es war das erste künstliche Lächeln, das ich sah.
Später am selben Nachmittag, während Mom (wie ich sie inzwischen zu nennen gelernt hatte) ein wohlverdientes Schläfchen machte, beugte sich Daddy über meine Wiege. Er telefonierte dabei mit seinem Zimmergenossen vom College. 35
»Yeah, wir haben ihn Oliver Junior genannt …« Er lauschte für einen Augenblick und lachte dann knatternd wie ein Maschinengewehr: »Ga-ga-ga-ga-ga, natürlich ist er nach mir benannt, du Scherzkeks, aber klar …«
Daddy ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte seine Beine quer über meinen Wickeltisch. »Oh, yeah, ich bin echt hin und weg. Du weißt ja, Don, Kindheit und Unschuld, das ist alles so wichtig für mich. Irgendwie bin ich ja selbst noch ein großes Kind, oder?« Für einen Moment streckte er seinen Arm zu mir in die Wiege - ich dachte schon, er wolle mich streicheln -, schnappte sich meinen Teddybären und drückte ihn versonnen.
»Zu Kindern hatte ich schon immer einen guten Draht. Ich weiß, wie sie denken. Du musst dir nur mal das Gehirn vom kleinen Oliver Junior vorstellen, so einfach und rein und unschuldig, vollkommen frei von den Vorurteilen der Erwachsenen.« Er schaute in den Spiegel und begann an seinen Haaren herumzuzupfen. »In diesem Moment sehe ich ihn an und habe das Gefühl, als würde ich in die Zukunft blicken.«
Plötzlich erstarrte er. Ich stellte meine neugeborenen Äuglein scharf und sah, dass er ein graues Haar in seiner braunen Mähne entdeckt hatte. Er rollte es zwischen seinen Fingern hin und her wie einen ekelhaften Wurm, ehe er es mit einem Ruck herausriss. Dann blickte er erneut in den Spiegel und runzelte die Stirn. Ich konnte Dons Stimme am anderen Ende des Telefons hören, aber Daddy schien mit seinen Gedanken woanders zu sein.
»Was … äh … ja? Natürlich bin ich noch dran.« Er senkte die Stimme und blickte zur angelehnten Tür, hinter der Mom gerade ihr Schläfchen machte. »Hör zu, Don. Du weißt, dass ich total happy über den Kleinen bin, aber … ich meine … irgendwie ging das alles so schnell ! Erst Marlene, jetzt das Baby … ich muss immer wieder daran denken, dass mich das alles … von der großen Aufgabe abhält, zu der ich berufen bin.«
Der Raum, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt befand, war auch das Arbeitszimmer meines Vaters. Das war in unserer alten Wohnung. Der Raum war ungefähr doppelt so groß wie ein Kleiderschrank und die Wände waren in männlichem Dunkelgrün gehalten, doch Mom hatte mir zuliebe lauter kleine Frösche daraufgeklebt. Daddys Computer stand direkt neben meiner Wiege. Die einzige »große Aufgabe«, der er sich daran widmete, war Backgammon, das er immer am Bildschirm spielte. 36
»Weißt du, ich habe das Gefühl, dazu ausersehen zu sein, allen Kindern auf der Welt Gutes zu tun, ihnen zu helfen. Dafür berühmt zu werden. Vielleicht werde ich ein Buch schreiben … oder zum Fernsehen gehen. Ich
frage mich einfach, ob es nicht egoistisch von mir ist, meine ganze Energie einem einzigen Kind zu widmen, wenn ich doch auch so vielen anderen helfen könnte. Das lenkt mich doch nur vom Wesentlichen ab.«
Er lauschte für einen Moment.
»Nein, er schreit überhaupt nicht. Er guckt einen nur die ganze Zeit mit diesen großen, leeren Augen an … und seine Stirn, die ist riesengroß, und seine Nase fast nicht vorhanden, nur ein kleiner Punkt mitten im Gesicht …« Plötzlich wurde ihm bewusst, wie sich das anhörte. »Versteh mich nicht falsch, der Junge ist großartig. Jetzt gerade schaue ich ihn an, er ist wirklich … toll.«
Um das noch mal klarzustellen: Als er das sagte, blickte er immer noch in den Spiegel.
»Aber, ich meine … es ist natürlich viel zu früh, um das beurteilen zu können, aber wenn … ja, wenn er nun ihre Intelligenz geerbt hat? Ich weiß nicht, ob ich das verkraften … Natürlich liebe ich sie, darum geht es doch gar nicht!«
»Sie hat während der Schwangerschaft ja ganz schön an Gewicht zugelegt, aber ich denke, das gibt sich wieder …«
Er seufzte. Es war das Seufzen eines Mannes, der mehr ertragen muss, als die Welt je erfahren wird. Ein Klang, den ich nur allzu gut kennenlernen sollte.
»Ich wollte nur sagen, dass ich … schon seit meiner Kindheit … immer gewusst habe, dass ich eines Tages etwas Außergewöhnliches hervorbringen
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