Ich gegen Dich
zu sagen oder zu tun übrigblieb, das sich nicht auf Tom bezog. Sie fielen so rasch wieder in ihren Kummer zurück.
Schließlich nippte Mum an ihrem Kaffee, verzog das Gesicht und setzte die Tasse ab. »Nicht zu fassen, dass wir schon wieder Wochenende haben«, sagte sie. »Ich muss andauernd denken, das hört einmal auf, und wir kehren zur Normalität zurück.«
Dad strich sich mit einer Hand über die Stirn. Er sah müde aus. »Normalität dürfen wir nicht mehr erwarten. Nicht, solange dieses kleine Miststück drauf besteht, die Sache durchzuziehen.«
Das war neu: dieses Wort, und wie er es ausspuckte.
»Wie kannst du sie so nennen, Dad?«
Mit offenem Mund gaffte er Ellie an. »Sie ist auf bestem Wege, das Leben deines Bruders zu zerstören!«
»Es ist nur so ein hässliches Wort.«
Er schüttelte den Kopf, so als wäre sie endgültig übergeschnappt, und ließ den Blick zum Fenster zurückwandern.
Als Kind hatte Ellie jeden Samstagvormittag mit Dad im Park verbracht – dann waren sie zum Spielplatz gegangen, hatten die Enten auf dem See gefüttert, nach guten Kletterbäumen für sie Ausschau gehalten. Mum hatte ihren Yogakurs, Tom Fußball; sie beide waren zu zweit gewesen. »Kleine Wilde« hatte Dad sie genannt, hatte ihr Blätter und Zweige aus den Haaren geklaubt und sie zum Mittagessen im Café aussuchen lassen, worauf sie Lust hatte. Aber als sie elf geworden war, hatte sich etwas verändert, so als hätte er sich von ihr zurückgezogen. Auf einmal war sie zu groß zum Kuscheln gewesen, zu alt zum Herumspielen und -albern. Es war ein langsamer Rückzug gewesen. Aber manchmal, wenn Ellie länger darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass er sie seit Jahren kaum noch beachtete.
»Vierzig Kilometer bei diesem Wetter«, sagte Dad, »und wenn wir ankommen, erkennt sie uns noch nicht mal.«
»Simon«, sagte Mum, »du redest über meine Mutter.«
Er hob die Hände. »Erschieß mich doch!«
Seufzend sah Ellie auf ihr Handy. Noch etwas über eine Stunde. Keine neuen Nachrichten. »Und«, sagte sie, »kommt ihr zur üblichen Zeit wieder?«
Ihre Mutter nickte. »Werden wir wohl.«
»Bestimmt«, sagte ihr Dad.
»Ihr fahrt nur zu Gran, stimmt's? Nicht sonst wohin? Nicht zum Häuschen, weiter ausräumen?«
»Was soll die Fragerei?«, wollte Dad wissen.
»Nur so.« Sie schob den Teller von sich. Auf einmal war ihr schlecht.
»Du hättest diesen Muffin nicht nehmen sollen, wenn du ihn nicht wolltest«, sagte Mum. »Du hättest ihn sowieso gar nicht erst nehmen sollen.« Sie steckte den Muffinrest in den Brotkasten zurück, leckte sich die Finger, schob ihren Stuhl unter den Tisch und begann den Teller abzuspülen.
Ellie sah wieder auf ihr Handy. »Und Tom ist den ganzen Tag weg, oder?«
Ihre Mutter sandte ihr ein trauriges Lächeln. »Lassen wir ihn ruhig seinen Spaß haben, solange es noch geht.«
»Golfclub«, sagte Dad. »Wenn er einigermaßen bei Vernunft ist, wird er am Indoor-Golfsimulator üben. Wo auch ich jetzt am liebsten wäre, ehrlich gesagt.«
Ellie ließ ihre Gabel tanzen, kippelte sie vor und zurück. Davon bildeten sich Dellen im Tischtuch.
Dad sah sie stirnrunzelnd an. »Hast du was vor, Eleanor?«
Ja, lasst mich nicht allein. Ich hab so was Dummes gemacht ...
Er sagte: »Du sollst heute lernen, darauf hatten wir uns geeinigt.«
Geschichtsaufzeichnungen lagen über den Boden ihres Zimmers verstreut, ihre Kunsthausarbeit lag halbfertig auf ihrem Schreibtisch, und mit Spanischlernen hatte sie noch nicht einmal angefangen. Wenn ihr Vater wüsste, wie weit sie schon im Rückstand war, würde er ausrasten. Wahrscheinlich bekäme sie Hausarrest, bis sie achtzehn war.
»Und«, sagte er, »um welches Fach geht's heute?«
Sie sagte es ihm, Erdkunde – das einzige, wofür sie seit Montag irgendwas getan hatte.
»Ah«, sagte er, »Auenmäander.« Und er tätschelte kurz ihren Handrücken. »Ich beneide dich, Ellie. Was würde ich nicht geben für irgendwas, womit ich mich von all dem hier ablenken könnte.«
Vielleicht sollte sie es ihm sagen? Ich hab Mikey McKenzie zu mir nach Hause eingeladen. Den kennst du, klar kennst du ihn,
er ist der Bruder von Karyn McKenzie. Ich hab einen Plan. Das Blöde ist nur, ich hab so einen Schiss...
»Dieser Regen hört einfach nicht auf«, sagte Mum vor der Spüle. »Was sollen wir machen?«
Dad stand auf. »Fahren wir. Bringen wir's hinter uns.« Er schaute zu Ellie runter. »Sollen wir Gran irgendwas von dir ausrichten?«
Ȁm, nee, nicht wirklich.
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