Ich gegen Dich
dazu sollen wir alle nicken und dir das durchgehen lassen?«
Ellie schloss die Augen, um ihn auszusperren und weitertoben zu lassen. Er erzählte ihr, wie egoistisch sie sei und wie viel Hausarrest ihr das einbringen werde. Er glaube nicht, dass sie den ganzen Tag allein gewesen sei, und werde ihr das Handy wegnehmen. Sie stand offensichtlich unter schlechtem Einfluss durch falschen Umgang, sagte er ihr, weil sie sich nämlich in eine Lügnerin verwandele.
Erst vor einer halben Stunde waren sie und Mikey von der Bushaltestelle weggelaufen. Das Gras hatte sich im Dunkeln silbrig gewellt, und Regen hatte wieder in der Luft gelegen, mit tiefhängenden dunklen Wolken. Am Gartentor hatten Mikeys Finger rasch ihre gestreift.
»Gib mir was von dir, das mir Mut macht«, hatte sie gesagt. »Ein Stück von dir zum Mitnehmen.«
»Was willst du?«
»Was kann ich haben?«
Er hatte ihr sein Feuerzeug geschenkt, sie geküsst und war rückwärts den Zufahrtsweg zurückgegangen. Während sie ihm zusah, war Ellie selbst verblüfft darüber, was sie getan hatte, wer sie geworden war.
Dann war die Tür aufgegangen, und ihre Mum war die Treppe runtergelaufen. Und hier war sie nun, wieder zum Kind mutiert, das sich unter dem Zorn seines Vaters auflöste, während alles Starke und Gute an ihr sie verließ.
»Jetzt reicht's«, sagte ihre Mutter. »Du setzt ihr zu sehr zu, siehst du das nicht?«
Sie langte über den Tisch und fasste Ellie unters Kinn. Es war merkwürdig, so als wollte sie sie küssen. Ellie schlug die Augen auf, und ihre Tränen flossen über. Wie erschöpft ihre Mutter aussah.
»Wir wollen dir helfen«, sagte sie. »Jetzt wird alles klar – die Sache mit dem Wodka, und wie still du in letzter Zeit warst. Es ist nicht zu spät, und du steckst nicht in Schwierigkeiten. Dad regt sich nur auf, das ist alles. Wir hatten ja keine Ahnung, dass du so große Angst vor dem Prozess hast.«
Eiseskälte breitete sich in Ellie aus. Ihrer Mutter hatte sie doch erzählt, dass sie Zweifel an Tom hatte, oder etwa nicht? Sie war in den Garten gegangen und hatte gesagt, dass ihr neue Erinnerungen gekommen waren. Dass Karyn die Wahrheit sagte. Warum wurde dieses Gespräch ignoriert?
Ihre Mum fuhr fort: »Hör dir an, was dein Vater dir erklärt, wie wir die Sache regeln werden. Er hat einen Plan, um dir zu helfen. Alles kommt in Ordnung.«
Ihr Vater beugte sich vor. »Wir fangen neu an, Ellie, und diesmal wirst du von Anfang an mit einbezogen. Die Gerichtsverhandlung ist erst in zehn Wochen, wir haben also jede Menge Zeit. Als Allererstes werden wir morgen früh Barry feuern. Und den Anwalt gleich mit dazu, wenn schon, denn schon.«
Ellie blinzelte verblüfft: »Warum das denn?«
»Du hast Barry gesagt, dass du nicht als Zeugin auftreten willst, und wenn die Polizei davon Wind bekommt, sieht es ziemlich verdächtig aus, nicht wahr? Sie werden denken, du wüsstest etwas und würdest es verschweigen. Willst du etwa zum Kreuzverhör in den Zeugenstand gerufen werden? Nein, das hätte mich auch gewundert. Wir werden uns also eine neue Anwaltskanzlei suchen und ganz von vorn anfangen, als ob dein Gespräch mit Barry nie stattgefunden hätte.«
Ellie schaute auf das Tischtuch. Es war noch gar nicht so lange her, dass sie an diesem Tisch gesessen und als Familie zusammen gefrühstückt hatten. Da war das Brett, auf dem ihre Mutter dicke Weißbrotscheiben zum Toasten abgeschnitten hatte. Heute Morgen. Bevor all das passiert war.
Sie war davon überzeugt gewesen, dass sie den Startschuss zur Zerstörung ihrer Familie gegeben hatte, dass sie Tom verpfiffen und sie alle verraten hatte. Doch wie sich herausstellte, hatte Tom ihren Eltern nichts weitergesagt. Wenn Barry gefeuert wurde, würde alles vertuscht werden. Ellie war ein verängstigtes kleines Mädchen. Tom war unschuldig. So einfach war das.
Ihr Vater lächelte ihr jetzt zu, hielt auf dem Tisch ihre Hand. Wie früher, als sie jeden Samstag zusammen in den Park gegangen waren. Und wenn sie im Kino Angst bekam. Und wenn er ihr abends vor dem Schlafengehen vorlas. Dann saß er an ihrem Bett und las mit verstellten Stimmen und ließ ihre Hand nicht los, bis sie eingeschlafen war. Manchmal hatte er ihr die Figuren aus dem Buch gezeichnet und neben ihrem Wecker aufgestellt, damit sie sie am Morgen fand.
Jetzt war seine Hand warm, und als er sich vorbeugte, um ihre Wange zu streicheln, roch er so vertraut.
»Ich bin auf deiner Seite«, sagte er. »Wir sind alle auf einer Seite –
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