Ich Töte
schon Zeit fürs Abendessen und ihm fiel auf, dass er hungrig war.
»Café de Turin?«
Das Café de Turin an der Place Garibaldi war eine ganz einfache Trattoria mit langen Tischen und Bänken. Dort bekam man eine wunderbare coquillage , noch wunderbarer mit einer Flasche eiskaltem Muscadet. Er hatte Frank und seine Frau einmal hierher eingeladen, als sie nach Europa gekommen waren, und die beiden waren vollkommen aus dem Häuschen gewesen, als sie die lange Theke voller Meeresfrüchte sahen und die Angestellten mit den Arbeitshandschuhen, die unentwegt Muscheln aufbrachen. Mit leuchtenden Augen hatten sie die Kellner verfolgt, wie sie mit den großen Schüsseln voller Austern und Venusmuscheln und großen roten Gambas, die mit Mayonnaise gereicht wurden, umhereilten. Sie waren noch einige Male hergekommen, und das kleine Restaurant war so etwas wie ihr gastronomisches Allerheiligstes geworden. Hulot hatte erst gezögert, den Ort zu erwähnen, weil er befürchtete, die Erinnerung könne Frank verstören. Aber der Amerikaner schien sich verändert zu haben, oder zumindest sah es aus, als bemühe er sich darum, sich zu verändern. Wenn er den Kopf aus dem Sand ziehen wollte, dann bot sich hier eine gute Gelegenheit. Frank nickte leicht und bestätigte gleichermaßen Hulots Vorschlag und seine guten Absichten. Was auch immer in seinem Kopf vorging, auf seinem Gesicht war es nicht zu erkennen.
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»Okay, fahren wir zum Café de Turin.«
Hulot entspannte sich unmerklich.
»Weißt du, ich habe es ein bisschen satt, herumzurennen und wie die Leute in einem Fernsehfilm zu reden. Ich komme mir schon vor wie eine Karikatur von Inspektor Columbo. Ich brauche dringend eine halbe Stunde Normalität. Ich muss kurz abschalten, sonst drehe ich noch durch.«
Der Abend war bereits herabgesunken und die Lichter der Stadt leuchteten. Frank sah, immer noch schweigend, draußen vor dem Autofenster Menschen, die ausgingen und sich zerstreuten und in den Häusern, den Bars, den Restaurants, bei der Arbeit miteinander tratschten. Tausende von Menschen mit anonymen Gesichtern.
Alle beide wussten, dass Hulots Worte gelogen waren. Mitten unter diesem sommerlichen Völkchen gab es einen Mörder, und bevor das nicht ein Ende hatte, würden sie beide an nichts anderes mehr denken können.
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Hinter der großen Glasscheibe der Regiekabine signalisierte Laurent Bedon, der Regisseur, den Countdown und ließ einen nach dem anderen seine Finger in der hochgehaltenen Hand verschwinden.
Dann wies er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Jean-Loup Verdier.
In seinem Rücken ging das rote Licht an, als Zeichen, dass sie auf Sendung waren.
Der Moderator rückte seinen Stuhl etwas näher ans Mikrofon, das an einem kurzen, beweglichen Arm aus dem Pult vor ihm ragte.
»Hallo und herzlich willkommen an alle, die uns jetzt zuhören, und alle, die uns im Lauf des Abends noch zuhören werden. Es wird Musik geben, und es wird Leute geben, die uns Anteil nehmen lassen an ihrem Leben, das vielleicht nicht immer im selben Rhythmus verläuft wie die Musik, die wir hören werden …«
Er hielt inne, und die Tonfrau blendete einige Takte von Born to be wild von Steppenwolf ein.
Einige Sekunden später legte sich die warme und verführerische Stimme Jean-Loups von neuem über die Musik.
»Wir sind hier, wir sind bereit, wenn wir irgendwie behilflich sein können. Für alle, die ihr Herz verloren und kein entsprechendes Herz gefunden haben, für alle, die sich geirrt und zu viel Salz in die Suppe gestreut haben, für alle, die einfach keine Ruhe kriegen, bis sie nicht herausbekommen haben, in welcher verdammten Dose sie den Zucker versteckt haben, für alle, die in der kleinen Flut ihrer Tränen zu ertrinken drohen. Wir sind hier mit euch, und trotz allem sind wir so lebendig wie ihr. Wir erwarten eure Stimme. Erwartet ihr unsere Antwort. Ich bin Jean-Loup Verdier, und das ist Radio Monte Carlo. Hier ist Voices .«
Noch einmal Born to be wild. Noch einmal dieser verzerrte Gitarrenlauf, der durchs Geröll hinabfährt und Staub aufwirbelt und Steine beiseite schleudert.
»Verdammt, ist der gut!«
Frank Ottobre, der neben Laurent in der Regiekabine saß, konnte sich den Kommentar einfach nicht verkneifen. Der Regisseur wandte sich zu ihm und sah ihn lächelnd an.
»Nicht wahr?«
»Es wundert mich nicht, dass er so viel Erfolg hat. Seine Stimme und seine Art treffen einen direkt ins Innerste.«
Barbara, die Tontechnikerin, die rechts von ihm am
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