Ich Töte
Telefon zu klingeln.
Er nahm den Hörer in die Hand und ging dran.
»Hallo?«
»Frank, hier ist Nicolas.«
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»Du, ich wollte dich gerade anrufen. Mir ist eine Idee gekommen, nichts Besonderes, aber es könnte ein Ausgangspunkt sein.«
»Was denn?«
»Ich glaube, ich habe verstanden, welches Ziel unser Mann verfolgt.«
»Soll heißen?«
»Es sind die Männer, die ihn interessieren. Jochen Welder und Allen Yoshida. Die beiden waren seine eigentlichen Opfer.«
»Und wie passt Arijane Parker da hinein?«
»Die Ärmste war nur das Versuchskaninchen. Bei ihr hat er es das erste Mal getan. Dieser Wahnsinnige brauchte jemanden, um zu üben, bevor er sich seiner wahren Aufgabe, nämlich dem Kopf von Jochen Welder, widmen konnte.«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung ließ vermuten, dass Hulot darüber nachdachte. Wenig später erklang seine Stimme.
»Wenn es so wäre, wenn wir die Frauen ausschließen, dann verringert sich der Kreis der möglichen Opfer …«
»Ja, Nicolas, Männer um die dreißig, fünfunddreißig Jahre, berühmt und gut aussehend. Das ist nichts Großartiges, aber es scheint mir doch ein schöner Schritt nach vorn zu sein. Es gibt nicht tausende von Menschen, auf welche diese Kriterien zutreffen.«
»Zumindest eine Hypothese, über die es sich lohnt nachzudenken.«
»Auch, weil wir im Moment keine bessere haben. Darf ich erfahren, warum du angerufen hast?«
»Frank, wir kriegen Ärger. Hast du schon Zeitung gelesen?«
»Nein.«
»Es gibt nicht eine Tageszeitung in ganz Europa, die diese Sache nicht auf der ersten Seite hat. Von überall her sind die Truppen im Anmarsch. Roncaille und Durand sind ganz offiziell auf dem Kriegspfad. Sie müssen mächtig Druck bekommen haben, vom Innenminister bis zum Prinzen persönlich.«
»Kann ich mir vorstellen. Allen Yoshida war schließlich nicht irgendwer.«
»Genau. Und deshalb ist die Hölle losgebrochen. Roncaille hat mir gesagt, dass sich der Konsul der Vereinigten Staaten in Marseille eingeschaltet hat, im Namen eurer Regierung. Wenn wir nicht bald etwas vorlegen, wird mein Kopf in ernste Gefahr geraten, fürchte ich. Und wir haben ein Problem …«
»Welches denn?«
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»Jean-Loup Verdier. Ihm sind die Nerven durchgegangen. Vor seinem Haus sammelt sich eine ganze Meute von Reportern, die da praktisch übernachten. Dasselbe spielt sich vor dem Sender ab. Bikjalo freut sich wie ein Schneekönig. Sie haben Einschaltquoten wie die Formel 1. Jean-Loup dagegen hat, glaube ich, kalte Füße bekommen und will die Sendung einstellen.«
»Um Himmels willen, das darf er nicht. Er ist der einzige Kontakt, den wir zum Mörder haben.«
»Ich weiß das, und du weißt das. Aber versuch das mal ihm zu erklären. Ich habe versucht, mich in ihn hineinzuversetzen, und kann es ihm nicht verdenken.«
»Wir können uns nicht erlauben, ihn zu verlieren. Wenn dieser Irre keinen Ansprechpartner mehr hat, kann es sein, dass er sich entscheidet, überhaupt nicht mehr anzurufen. Er wird nicht aufhören zu morden, aber wir werden nicht mal mehr den kleinsten Hinweis bekommen. Und wenn er einen anderen sucht, vielleicht bei einem anderen Sender oder wer weiß wo sonst, dann brauchen wir wieder Zeit, bis wir alles unter Kontrolle haben. Und das bedeutet noch mehr Tote.«
»Wir müssen mit ihm reden, Frank. Und mir wäre es lieber, wenn du es tun würdest.«
»Warum?«
»Meiner Meinung nach hast du mehr Einfluss auf ihn als ich. Es ist zwar komisch, aber das Wort FBI macht irgendwie mehr her als Sûreté Publique.«
»In Ordnung, ich ziehe mich nur schnell an und komme.«
»Ich schicke dir einen Wagen. Wir sehen uns dann bei Jean-Loup.«
»Okay.«
Noch während ihrer letzten Worte hatte sich Frank auf den Weg ins Schlafzimmer begeben. Er suchte ein legeres Hemd und eine ebensolche Hose aus, zog sich Strümpfe und Schuhe an und schlüpfte in eine leicht gefütterte Jacke. Er stopfte alles, was er am Abend zuvor auf den Nachttisch gelegt hatte, wahllos in die Taschen seiner Jacke und überlegte derweil, wie er die Sache mit Jean-Loup Verdier anfangen sollte. Der machte sich in die Hosen und das war nur allzu verständlich. Sie mussten irgendeinen Weg finden, um diesen Jungen zu überzeugen. Er merkte, dass er von Jean-Loup immer als »diesem Jungen« dachte, obwohl er doch, bei Licht betrachtet, nur ein paar Jahre jünger war als er.
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Frank fühlte sich um viele Jahre älter. Mit Sicherheit alterte man als Polizist schneller. Manche Leute wurden
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