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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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Nicken, Gesten. Als wäre zwischen uns eine Mauer, obwohl da keine war. Dann, im Februar 1984 in der Gore Street, wohnten wir im selben Block: Er war in der Ausnüchterung der Männer, ich bei den Frauen. Getrennte Bereiche eines großen Raums, der von einem offenen Durchgang geteilt wurde. Jeden Morgen musste ich durch den Bereich für die Männer, um mir meine Antabuse und meinen Fön von einem der Mitarbeiter hinter dem Empfangstisch zu holen. Der Mitarbeiter sagte: »Hier ist dein Fön.« Sie hielten den Fön unter Verschluss, als wäre er eine Waffe, als könnte ich mir die Haare totfönen.
    1982 und Anfang 1983 kannte ich den Mann von der anderen Seite, als er zu den Treffen kam, bei der Kaffeemaschine stand, bevor ich anfing, Kaffee zu trinken, überall rauchte, umgeben von Menschen, die wie Freunde wirkten. Das war, bevor ich das Broadway-Haus gefunden hatte. 1982 , bei meinem allerersten Treffen, waren lauter alte Leute im Raum. Ich war zwanzig. Man sagte mir, ich müsste unter junge Leute kommen, und schlug vor, dass ich zu einem Treffen ging, das
Rebos
hieß (»Sober« – trocken – rückwärts gelesen). Da lernte ich den Mann, den ich bewunderte, kennen. Die Treffen fanden weit vom Haus meiner Eltern entfernt statt – bei dichtem Verkehr dauerte die Fahrt eine gute Stunde. Aber ich mochte das vertraute Gefühl, immer zu demselben Treffen zu gehen. Damals kam es mir so vor, als hinge in dem Raum hinter dem Mann ein vergoldeter Spiegel, und ein verzierter Tisch stünde davor. 1982 schaffte ich es immer nur ein, zwei Tage, ohne zu trinken, die Königin des Rückfalls, trotzdem ging ich zu den Treffen. Am Schluss des Treffens, bevor wir rausgingen, standen wir in einer kleinen Gruppe zusammen. Ich blieb bei den anderen, um in seiner Nähe zu sein, ohne ihm Angst zu machen. Seine Muskeln waren entspannt, er sah aus, als könnte er jederzeit wegrennen. Ich redete mit den anderen und sah ihn zwischendurch an. Es schien, als sähe er mich hauptsächlich von der Seite. Aber hier in der Gore Street sind wir mitten unter Fremden, beide immer noch in Nöten. Er wäre jetzt, zwei Jahre später, nicht hier, wenn er nicht auch Mühe hätte, dem Trinken fernzubleiben.
    Ich war schon einen Monat da und hatte ein Wappen gemalt, als ich ihn auf der Seite für Männer stehen sah. Mein Wappen war aus Bildern zusammengesetzt, die ich gezeichnet hatte, um mich zu beschreiben. Vier Dinge. Eins ist ein Schild, oder alle sind Schilde. Zwischen dem Mann und mir war eine Türöffnung, aber ohne Tür. Ich stand auf meiner Seite. Er sah mich. Ich erinnere mich nicht an Worte, aber wir fingen beide an zu strahlen. Männer und Frauen gingen zwischen uns hin und her. Die Köpfe gesenkt. Obwohl wir drinnen waren, kam es mir vor wie auf einem offenen Platz in einem fremden Land. Sein Lächeln traf mich aus der Ferne, und doch fühlte es sich an, als umarmte mich jemand. Hier waren wir, wir beide, immer noch am Ringen, immer noch am Hoffen, und kamen, an dem Tag, ohne aus. Ihn zu sehen fühlte sich an, als würde sich meine Vergangenheit mit meiner Zukunft verbinden – wie eine Brücke in ein Leben, das ich noch nicht hatte. Ich hoffe, dass ich ihm etwas Ähnliches bedeutete. Es war an meinem letzten Tag, dass ich ihn entdeckte, fast schon Zeit für mich zu gehen. Als ich durch den leeren Türrahmen ging, auf dem Weg zu der Eingangstür aus Stahl, stand er vor mir. Wenn wir da etwas gesagt haben, hätte es ebenso gut in einer anderen Sprache sein können. Vielleicht bedeutete Freund Zuflucht. Schatz. Auch Liebe. Es ist die persönliche Verbindung zwischen mir und ihm – und alle anderen versuchen einfach, durch den Tag zu kommen –, die mir hilft, das zu bekommen, was ich brauche, um nicht zu trinken. Zwischen uns gibt es keine Täuschung. Ich muss ihn nicht zu einem Geliebten machen, zu einem zufälligen Bekannten, mit dem ich schlafe. Ich muss ihn nicht benutzen. Anders als die meisten anderen Männer in meinem Leben bedeutet er etwas, tauscht etwas Reines mit mir aus. Ich wünsche ihm, dass er es schafft. Ich wünsche ihm alles Gute. Ich habe nichts erlebt, das ich hiermit vergleichen kann. Und obwohl wir eigentlich nie miteinander gesprochen, sondern Abend für Abend nur in derselben Gruppe gestanden haben, damals, vor zwei Jahren, legt er die Arme um mich. Ich grabe mein Gesicht in sein Haar, eine Ruhestelle. Er küsst mich. »Viel Glück«, sagt er, dann lässt er mich los.

El Paso
    Ocker, Oliv, Eisen, Sand. Trockene Gräser

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