Ich und andere uncoole Dinge in New York
erklären. Sie hat kein schlechtes Gewissen und vielleicht hat sie das mit dem Küssen extra gesagt, um mich aus dem Konzept zu bringen. Also das, was sie von sich gibt, wie groß der Park ist und wie schön, sehe ich auch. Dazu braucht man nun wirklich keine New Yorkerin zu sein, geschweige denn eine New Jerseyerin. Sie spielt sich auf, als wäre sie in Besitz geheimen Wissens. Der Park ist voller New Yorker, die spazieren gehen, joggen oder mit dicken Gewichten an den Händen in ulkige Schnell-Geh-Bewegungen verfallen. Der Wind wiegt die saftigen, flaschengrünen Blätter an den Bäumen sanft hin und her. Wir schlendern durch den Park und alles könnte total entspannt sein. Außer, dass ich so unentspannt bin wie noch nie in meinem Leben. Wir passieren einen wunderschönen dunkelgrünen Teich und Rachel erklärt, dass die ganzen wohlhabenden Jungen und Mädchen mit ihren Nannys hierherkommen und ihre Modellboote fahren lassen, als hätten wir keine Augen im Kopf. Ein kleiner Junge, der in beigen Hosen und feinem Oberhemd wie ein Mini-Investment-Banker aussieht, versucht, flache Steine auf der Wasseroberfläche hüpfen zu lassen. Peter nimmt einen Stein und schleudert ihn auf den Teich, so dass er dreimal hochspringt. Der Junge blickt ihn bewundernd an und Peter gibt ihm ein High five.
„Im Winter müssen wir unbedingt Schlittschuhlaufen“, schlägt Rachel vor. „Im Central Park oder vor dem Weihnachtsbaum am Rockefeller Center.“
Sie meint natürlich, Rachel und Peter müssen Schlittschuhlaufen. Im Winter bin ich ja nicht mehr hier. Ich betrachte Rachel von der Seite und für eine Sekunde trifft sich mein Blick mit Peters, der beobachtet, wie ich Rachel beobachte. Ich lächele mit der kleinstmöglichen Bewegung meines Mundes konspirativ, als würden wir das Gleiche denken, was höchstwahrscheinlich nicht stimmt, so wie er sie anlechzt. Aber dann lächelt Peter zurück und ich fühle mich für einen Moment doch, als wären wir verschworen. Inzwischen ist es ziemlich warm geworden und wir ziehen unsere Jacken aus und lassen die Sonne auf unsere nackten Arme brennen. Dabei trinken wir Kaffee aus Plastikbechern wie die anderen Amerikaner, die uns entgegenkommen. Alle New Yorker laufen ständig mit einem Becher herum, als würden sie verdursten, wenn sie nicht konstant etwas trinken würden. Aber amerikanischer Kaffee schmeckt sogar mir, weil ich mir immer irgendwelchen Geschmack reinmischen lasse, und dann schmeckt der Kaffee nicht mehr nach Kaffee, sondern nach Haselnuss, Vanille oder Schokolade. Weil Rachels Infos zum Park spärlich und nervig sind, hole ich meinen deutschen Reiseführer raus und übersetze für Rachel, was das Buch über den Park berichtet, was größtenteils im Widerspruch zu den Dingen steht, die Rachel von sich gegeben hat. Sie ist null beschämt darüber.
„Kannst du mir den Reiseführer mal geben“, fragt Peter, der zum Glück auch zu merken schein t, dass Rachel Müll erzählt hat, auf Deutsch.
Rachel bleibt abrupt stehen und starrt von Peter zu mir. „Was hast du gerade gesagt?“, fragt sie, wobei sie ihren Kopf nach vorn streckt, um Peters Antwort genau hören zu können.
„Was? Gerade? Ich habe Judith nach dem Buch gefragt“, erwidert Peter verdutzt.
„Aber du hast doch auf Deutsch gerade etwas anderes gesagt.“
Peter und ich sehen uns fragend an. Er hat nichts anderes gesagt. Er hat halt Deutsch geredet. Er übt manchmal sein Deutsch, wenn er mit mir redet.
„Du hast doch Fuhrer gesagt“, erklärt Rachel.
Nach ein paar Sekunden dämmert es mir. „Ach, Quatsch, nein – Peter, du hast gerade gefragt, wo der Fremden führer ist!“
„ Fuhrer , ja genau!“, schreit Rachel.
„Das bedeutet Reiseführer auf Deutsch“, erkläre ich.
„Hitler und ein Reiseführer werden mit dem gleichen Wort bezeichnet?“ Zweifelnd blickt sie uns an und ich versuche, es zu erklären. Dann zählt Rachel die anderen deutschen Wörter auf, die sie kennt: Wurst und Lederhosen, Vorsprung durch Technik, Blitzkrieg und Sturmtruppen. Ich fürchte, die Deutschen haben ein seltsames Erbe hinterlassen.
Später schlendern wir durch die riesigen Gewölbe des Museum of Natural History, in dem wir uns klein fühlen wie in einer gotischen Kirche. Es ist vor allem angenehm frisch hier, ohne dass die Räume von wütenden Klimaanlagen zur Eisbox heruntergekühlt sind. Rachel will uns die Dinosaurier zeigen und, weil sie unentwegt quasselt, verlaufen wir uns ein paarmal, bis wir endlich vor einem
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