Ich werde schweigen Kommissar Morry
Schläfen.
„Wollen Sie mich begleiten?“, fragte Morry höflich. „Ich möchte Ihren Bruder gern persönlich besuchen. Bitte, kommen Sie mit!“
„Nein“, stieß Richard Donally gepeinigt hervor. „Ich kann Ihnen doch Irving nicht ans Messer liefern, Sir! Wenn er mich sieht, wird er glauben, ich hätte ihn verraten.“
„Dann werde ich allein gehen“, sagte Morry kurz entschlossen. Er stieg aus, warf den Schlag seines Wagens zu und tat die ersten Schritte. Schon nach wenigen Sekunden war Richard Donally wieder neben ihm.
„Gut, ich werde Sie begleiten, Sir“, würgte er heiser hervor. „Aber Sie müssen mir versprechen, ihn nicht zu quälen. Er ist krank. Schaffen Sie ihn in ein Hospital. Verhören Sie ihn erst, wenn er wieder bei Kräften ist.“
„Sie halten ihn noch immer für unschuldig?“, fragte Morry halblaut.
„Ja, Sir. Er hat bestimmt nichts Schlechtes getan. Ich kenne ihn doch.“
Sie gingen nebeneinander durch die enge Gasse und standen bald darauf vor der hölzernen Tür, die in das Kellergewölbe führte.
„Klopfen Sie!“, raunte Morry.
Richard Donally gehorchte. Er pochte dreimal, wie er es immer getan hatte.
Aus dem Keller kam kein Laut. Kein Lebenszeichen. Der Wind verfing sich winselnd in der Kellerluke. Es war das einzige Geräusch.
„Versuchen Sie es noch einmal“, flüsterte Morry.
Richard Donally schlug hart gegen das Holz. In diesem Moment gab die Tür nach. Sie drehte sich knarrend in den Angeln. Das dunkle Viereck des Kellergewölbes tat sich vor ihnen auf. Am Fuße der Treppe, dicht unter der Luke, brannte eine flackernde Kerze. Sie verbreitete einen so dürftigen Schein, daß man kaum die Hand vor den Augen sah.
„Wo sind Sie, Mr. Bacon?“, rief Morry in das finstere Loch hinunter. „Geben Sie Antwort! Es wird Ihnen nichts geschehen. Wir sind nur gekommen, um Sie von hier wegzuholen.“
Wieder keine Antwort. Kein Laut von Irving Bacon. Die Kerze flackerte unruhig, ihr Flämmchen huschte zuckend um den Docht und erlosch dann. Morry schaltete seine Lampe ein. Gleichzeitig stieg er die Treppe hinunter. Der dünne, messerscharfe Lichtkegel wanderte ihm voraus. Als er die unterste Stufe erreicht hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. Seine Augen kniffen sich zusammen, als verengten sie sich in stechendem Schmerz.
„Um Gotteswillen“, stöhnte Richard Donally hinter ihm mit versagender Stimme. „Das ist unfaßbar, Sir! Als ich ihn vor zehn Minuten verließ, stand er noch aufrecht an der Kellerluke. Und jetzt..."
Sie starrten beide auf Irving Bacon hin, der in verkrümmter Haltung auf dem kalten Steinboden lag. Der Tod hatte alle Furcht und allen Irrsinn aus seinem weißen Gesicht gelöscht. Die bitteren Falten um den Mund waren verschwunden. Die Augen, in denen stets Verzweiflung und Entsetzen geflackert hatte, waren nun geschlossen. Das wächserne Gesicht wirkte beinahe friedlich. Nur die rote Blume, die er in der verkrallten Rechten hielt, bot einen gespenstischen Anblick. Richard Donally trat ganz nahe vor den Toten hin. Ein qualvoller Schmerz zerrte in seiner Brust. Sein Herz krampfte sich gequält zusammen.
„Das ist nun das Ende“, murmelte er dumpf. „Er hat immer gewußt, was ihm bevorstand. Deshalb hat er sich wie ein Tier in dieser Höhle verkrochen. Und Sie, Kommissar, Sie haben ihn für einen Mörder gehalten.“
„Haben Sie das getan?“, fragte Morry mit hohl klingender Stimme.
„Ich?“, fragte Richard Donaily fassungslos. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Kommissar?“
„Nun, der Tod ist auffallend oft in Ihrer Nähe“, sagte Morry grübelnd. „Erst Mack Towarin... und jetzt Irving Bacon... “
„Ich könnte Ihnen etwas anderes sagen“, erwiderte Richard Donaily gedehnt. „Ich war heute Nacht im Haus Melanie Gardens. Ich weiß jetzt, wen sie in den Nachtstunden empfängt. Ich weiß auch, daß diese Frau alle Morde mit... “
Er verstummte. Er mußte an Sonja Garden denken, die ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte. Es wurde ihm plötzlich klar, daß er ihr einen schlechten Dienst erweisen würde, wenn er ihre Mutter hier preisgäbe. Da beschloß er, auch weiterhin zu schweigen.
17
Seit einer Woche waren Winston Finsbury, Aaron Goldsmith und Nicolas Gory nicht mehr in der Navarra Bar zu sehen gewesen. Sie hatten gehofft, daß sie allein und jeder für sich besser mit ihrem schweren Schicksal fertig würden. Aber auch dieses Rezept hatte nicht geholfen. Nun saßen sie heute zum ersten Mal wieder an ihrem Stammtisch
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