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Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Titel: Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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»Tschüs.«
    Bevor ich den Raum verlasse, begegne ich Tonjas fragendem Blick, aber ich kümmere mich nicht darum. Ich steige in meine Schuhe, nehme die Jacke vom Haken und rase die Treppe nach unten zu meinem Rad. Während ich in die Pedale trete, merke ich, wie sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln mogeln und vom Fahrtwind über die Schläfen abgedrängt werden, aber auch das ist mir egal.

Der nächste Tag ist ein Freitag.
    In der ersten Stunde haben wir Sozialkunde, wo wir Informationen über verschiedene Energieformen sammeln sollen. Die Ergebnisse werden dann später in einer Energiedebatte vorgetragen. Tonja und ich haben das Thema Windkraft bekommen. Dafür drückt uns unsere Sozialkundelehrerin, Helena Wiik, einen beeindruckenden Stapel Informationsmaterial in die Hand. Auf dem Weg runter zu den Schließfächern merke ich, dass ich meine Unterlagen habe liegen lassen, und laufe noch mal zurück, aber Helena ist schon nicht mehr in der Klasse. Also gehe ich zum Lehrerzimmer, in der Hoffnung, sie dort anzutreffen.
    Vor dem Lehrerzimmer ist ein länglicher Raum, der als Garderobe dient und von dem die Toiletten abgehen. Ich will gerade diesen Raum betreten, als Lovisa mir in der Tür entgegenkommt. Sie wirft mir einen hektischen Blick zu, angespannt, fast ängstlich. Dann biegt sie in den Flur ab, wo sie von Emelie und Clara erwartet wird. Clara sagt irgendetwas, und Emelie klopft ihr auf den Rücken und nickt, ehe sie weitergehen, in unseren Garderobenraum vermutlich. Lovisa hat ihre große, schwarze Schultertasche dabei.
    Helena steht an der Kaffeemaschine. Sie gibt mir ihren Schlüssel, damit ich meine Unterlagen holen kann. Danach muss ich schnell weiter zur nächsten Stunde.
    Silja steht mit Sven und Leo vor dem Klassenraum. Sie hat Leos Kopfhörer aufgesetzt und wippt mit dem Kopf, während Leo seine Playlist durchblättert. Sie lachen und diskutieren. Ein paar Meter hinter Silja steht Line. Eigentlich sieht man sie in den Pausen nie miteinander reden oder etwas zusammen machen, trotzdem hält Line sich beständig im Dunstkreis von Silja auf. Mit etwas mehr Abstand, wenn Silja mit Sven und Leo zusammensteht, näher dran, wenn sie allein ist, aber immer zur Stelle, immer da. Ob Silja überhaupt merkt, dass Line sie sozusagen stalkt, oder hält sie es für einen Zufall, dass Line immer in der Nähe ist, wenn sie sich umdreht?
    Tonja will natürlich gleich wissen, wieso ich gestern Abend so überstürzt abgehauen bin, und ich versuche es ihr zu erklären. Sie behauptet weiterhin, dass Nils einfach schüchtern ist, aber ich glaube ihr nicht mehr. Wir haben was zusammen unternommen, uns unterhalten, gelacht und sogar gemeinsam Hausaufgaben gemacht. Er ist nie im Leben so schüchtern, dass er sich nicht traut, sich neben mich zu setzen. Das stimmt hinten und vorne nicht. Die Wahrheit ist offenbar eine andere, peinlich und schmerzhaft. Er ist schlicht und einfach nicht an mir interessiert. Wie ich es schon länger vermutet habe: Wir sind eine Zweckgemeinschaft, nachdem Tonja und Lukas zusammengekommen sind, mehr nicht. Seine Blicke habe ich mir wahrscheinlich nur eingebildet. Aber die dunkelbraunen Augen können einen auch ganz schön aushebeln.
    Heute vermeide ich jeden Blickkontakt. Ich merke zwar, dass er zwischendurch zu mir rüberschaut, aber ich will nicht darauf eingehen. Was ich jetzt gar nicht ertragen könnte, ist sein bedauernder, mitleidiger Blick, weil ich so offensichtlich was von ihm will, das er nicht erwidern kann. Bei dem Gedanken wünsche ich mir nur noch ein tiefes Loch im Boden. Warum habe ich so deutlich signalisiert, dass er sich neben mich setzen soll? Wenn er es gewollt hätte, dann hätte er sich von Anfang an neben mich gesetzt. Wie blind und bescheuert kann man eigentlich sein?
    Davor waren wir wenigstens Freunde. Jetzt fällt mir schon das Atmen in seiner Nähe schwer. Ich wünschte, er wäre nicht in meiner Klasse, wo ich seinen Hinterkopf jetzt Stunde um Stunde schräg vor der Nase habe. Und in der Kantine ist es noch schlimmer. Wie immer sitzen Tonja und ich mit Lukas und Nils an einem Tisch, und ich weiß nicht, wie ich einen einzigen Bissen von der Lasagne auf meinem Teller runterkriegen soll.
    Na ja, freitags ist es nicht so wild, wenn man das Mittagessen auslässt, weil wir direkt anschließend Hauswirtschaft haben, wo es noch mal was zu essen gibt. Hauswirtschaft macht Spaß. Tonja und ich kochen beide gerne. Und der Vorteil ist, dass Nils zwei Herde weiter weg

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