Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
15A kam pünktlich um sieben Uhr zweiundvierzig an der Haltestelle an. Die Überwachungskamera im Bus bestätigt, dass nur ein älterer Mann einstieg. Paul Palmer wurde ausfindig gemacht und kurz nach dem Fund von Amys Leiche vernommen. Er kannte Amy gut genug, um sich gelegentlich mit ihr zu unterhalten, und behauptet, sie sei an diesem Tag nicht an der Haltestelle gewesen. Darüber hinaus hat er sie nicht gesehen, während er dort stand, und hat auch nichts Ungewöhnliches bemerkt, woran er sich erinnern könnte. Sie hätte ein Taxi gerufen haben können, aber die örtlichen Unternehmen verneinen das. Um sieben Uhr neununddreißig wurde Amys Telefon abgestellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das der Moment, in dem sie entführt wurde. Ich vermute, dass sie, als sie das Haus verließ, links abgebogen ist und nicht rechts.« Im Raum breitete sich Stille aus. »Was? Habt ihr eure Eltern nie angelogen, als ihr in ihrem Alter wart? Ich schon, ständig.«
Daniels verwendete wieder den Zeiger. »Es gibt Überwachungskameras auf beiden Straßenseiten, hier und dort. Sie taucht auf keiner der beiden Kameras auf. Aber das müsste sie auch nicht, oder? Weil sie nämlich hier auf den Bus gewartet hat, vor der Ladenzeile …«
»Auf einen Bus, der sie nach Sunderland gebracht hätte, zwanzig Minuten entfernt«, sagte Carmichael. »Es liegt auf der Hand, dass sie von irgendeinem Fahrzeug aus von der Straße weg entführt wurde, Minuten nachdem sie das Haus verlassen hat.«
»Die Spurensicherung hat keine Hinweise auf körperliche Gewalt oder einen Kampf gefunden«, erinnerte sie Maxwell.
»Na und?« Carmichael biss zurück. »Wenn sie auf die Werbung des Fliegerclubs reagiert hat, bedeutet das nicht, dass sie es jemals tatsächlich dorthin geschafft hat. Oder vielleicht hat sie es auch geschafft und dort jemanden gut genug kennengelernt, um sich von ihm mitnehmen zu lassen. Ihren Mörder zum Beispiel.«
»Um acht Uhr abends?«, zweifelte Maxwell.
Carmichael spuckte beinahe ihren Tee aus. »Meinst du, die lassen dich in der ersten Stunde springen? Sie hätte erst einmal Theorie lernen müssen.«
»Lisa hat recht«, sagte Daniels. »Amy hat sich von jemandem mitnehmen lassen, den sie kannte. Das ist die plausibelste Erklärung. Kommen wir jetzt zu Jessica. Einen Tag davor, am Dienstag, dem vierten Mai, hat Robert Lester Jessica um ungefähr acht Uhr abends nach Hause gebracht. Die Überwachungskamera am Eingang zu ihrer Wohnung bestätigt das. Lester ist dann um kurz nach halb neun gegangen. Eine halbe Stunde später verlässt Jessica die Wohnung um exakt neun Uhr sieben, was ebenfalls auf der Überwachungskamera festgehalten ist. Sie geht nach rechts in Richtung dieses Nat-West-Geldautomaten, wo sie elf Minuten nach neun zwanzig Pfund abhebt. Wenn sie nicht die Feuerleiter hochgeklettert ist – und es gibt keinen sinnvollen Grund, aus dem sie das hätte tun sollen –, ist Jessica nie in ihre Wohnung zurückgekehrt. Meiner Meinung nach kann man das als Tatsache annehmen, was außerdem dadurch gestützt wird, dass ihre Quittung vom Geldautomaten nicht dort gefunden wurde. Das an sich ist schon ungewöhnlich, weil sie nämlich sehr genau Buch geführt hat. Tatsächlich ist das laut Kontoauszug der Bank die einzige Quittung, die fehlt. Jessicas Telefon war ab neun Uhr dreizehn nicht mehr erreichbar, und ich bin mir sicher, dass sie zu diesem Zeitpunkt entführt wurde. Jetzt wird’s interessant …«
Daniels richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Fallwand und rief einen neuen Bildschirm auf. Wieder war er zweigeteilt: Eine Seite zeigte eine detaillierte Karte, ein Netzwerk von Sendemasten, das das gesamte Land überzog; auf der anderen war eine kleinere Version, die das Gebiet von Adam Finchs Herrenhaus im Süden bis nach Housesteads im Norden umfasste.
»Am sechsten Mai wurden die Telefone beider Mädchen beinahe gleichzeitig um drei Uhr morgens nördlich des Zentrums von Newcastle eingeschaltet. Zusammen passieren sie mehrere Sendemasten, woraus wir schließen konnten, dass sie sich mit einer Geschwindigkeit von über hundertvierzig Knoten bewegten.«
»Die Reise nach Housesteads?« Carmichael dachte laut. »Das ist doch schrecklich.«
Gormley schüttelte den Kopf, mit einem Ausdruck reinsten Abscheus im Gesicht.
»Beide Telefone, sowohl Amys als auch Jessicas, wurden direkt über Housesteads wieder ausgeschaltet, vermutlich als er …« Daniels konnte es kaum über sich bringen, es laut auszusprechen. »…
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