Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
jetzt«, warnte sie.
»Geh doch«, sagte er. »Wirst ja sehen, ob’s mir was ausmacht.«
Langsam streckte sie ihm die Zunge heraus, dann drückte sie seinen kleinen Finger. »Kriege ich keinen Gutenachtkuss?«
Steven hätte sich vielleicht ein Dutzend clevere, witzige Antworten ausdenken können. Doch es sprach für sein künftiges Glück, dass er einfach tat, was sie wollte.
Als sich das Tor hinter Em schloss, schaute Steven auf die Uhr. Es war nach elf, und seine Mutter würde ihn umbringen.
Das schien ein sehr kleiner Preis zu sein.
Er schritt durch die mondlose Sommernacht und fühlte sich … auserwählt. Em liebte ihn. Sie liebte ihn. Ihn, mit seinen abstehenden Ohren. Ihn, ohne cooles Auftreten und ohne Geld. Ihn! Sie liebte ihn. Er ließ ihre Küsse wieder und wieder in seinem Kopf ablaufen – den Nervenkitzel, ihre Lippen mit seinen zu berühren, ihr Atem in seinem Mund, ihre Wimpern auf seiner Wange. Nichts hatte sich je so angefühlt. Nichts, nichts, nichts war so wie das – oder könnte jemals so sein.
Mit einem Gefühl des Staunens fühlte Steven Lamb, wie ein Teil seines Lebens endete und ein anderer Teil begann. Dies hier war der Teil, wo er ein Mädchen liebte und sie ihn ebenfalls liebte – und er ahnte instinktiv, dass nichts, was vorher gewesen war, jemals wieder so wichtig erscheinen würde wie früher.
Ein gewaltiges Wohlwollen durchströmte ihn. Das Skateboard hatte keinerlei Bedeutung mehr. Er würde sich bei Davey entschuldigen und ihm das mit dem Geld erklären. Vielleicht würde er ihm ein bisschen Geld geben. Vielleicht. Zum ersten Mal in seinem Leben kam Steven sich so sehr wie ein Erwachsener vor, dass er wusste, er konnte eine Schlacht verlieren, ohne sein Gesicht zu verlieren. Es war ein gutes Gefühl.
Ohne Mond schien die Milchstraße näher zu sein – zum Greifen nahe –, wie Sterne, die an eine Zimmerdecke aus blauem Samt gepinnt waren. Er lächelte zum Orion hinauf und streckte einen Finger ins Universum empor, um den mächtigen Mars zu verdunkeln. Em liebte ihn, und er war zu allem fähig.
Zu allem.
»Hallo, Steven.«
Stevens Herz ruckte heftig in seiner Brust.
Er ließ den Arm sinken und drehte sich um.
Er musste sich ein paar Mal drehen. Dann sah er in der Schwärze ein paar Meter weiter unten am Hügel Jonas Hollys undeutliche Gestalt auf den Steinstufen sitzen, die von seinem Gartentor zur Straße hinunterführten.
»Was machen Sie denn da?« Der Schreck machte ihn grob.
»Ich warte auf dich«, antwortete Jonas Holly.
Stevens Nackenhaare sträubten sich wie die eines Hundes. Er wollte nicht fragen, warum. Nicht hier in der Finsternis zwischen den hoch aufragenden Hecken, die die Straße wie einen Tunnel wirken ließen.
Mr Holly saß währenddessen einfach nur da, die Unterarme auf den Knien, die Hände locker vor sich verschränkt. Steven fragte sich, wie lange er schon da gesessen hatte. Fragte sich, ob er beobachtet hatte, wie er und Em den Hügel hinaufgegangen waren. Der Gedanke gefiel ihm nicht.
»Ich wollte dich etwas fragen.«
Wieder sagte Steven nichts.
»Warum hast du das Geld auf Lucys Grab gelegt?«
Die Frage kam für Steven überraschend.
»Was denn für Geld?«, spielte er auf Zeit.
»Dieses Geld.« Mr Holly lehnte sich zur Seite, und Steven hörte das Klirren von Münzen und das Rascheln von Geldscheinen, die aus Hollys Tasche gezogen wurden. »Zweiundsechzig Pfund dreißig.«
Wieder schwieg Steven. Die Dunkelheit erlaubte es ihm; bei Tage hätte er sich genötigt gefühlt, sofort zu antworten.
Mr Holly blieb sehr lange stumm. Und als er wieder etwas sagte, ging es nicht um das Geld.
»Weißt du, manche Menschen tun Kindern weh«, sagte er leise.
Stevens Herz begann heftig zu pochen. »Ich weiß.«
Er begann, sich behutsam den Hügel hinunterzuschieben, bis er auf gleicher Höhe mit dem Polizisten war. Noch ein paar Meter und er wäre an ihm vorbei, und dann konnte er losrennen, wenn es sein musste. Ganz gleich, wie dämlich es aussehen würde.
»Natürlich weißt du das«, sagte Mr Holly und nickte bedächtig mit dem Kopf. »Wir beide wissen das.«
»Ich muss jetzt nach Hause, Mr Holly«, sagte Steven. Er machte die paar Schritte, die bedeuteten, dass er an dem Tor vorbei war.
Der Mann überwand die Entfernung zwischen ihnen lautlos und mit beängstigender Geschwindigkeit.
Steven wich zurück, fand jedoch die stachelige Hecke in seinem Rücken. Er zuckte vor dem Kontakt zurück, von dem er wusste, dass er gleich kommen
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