Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
So ist es gut«, sagte Achim Volz. » Und jetzt stell dich vor– mit vollem Namen und Titel.«
» Ich bin Doktor Gunther Schneider.«
» Wie war der Name deines Vaters, Gunther?«
Gunther stockte.
» Sag es!«
» Mein Vater war Doktor Wilhelm Schneider.«
» Was war der Beruf deines Vaters?«
» Mein Vater war Arzt.«
» In welcher Funktion war dein Vater Arzt?«
» Er… er war… Leiter einer psychiatrischen Anstalt.«
» Hör auf, dämliche Spielchen mit mir zu spielen, Gunther! Welcher psychiatrischen Anstalt?«
» Er war Leiter der Psychiatrischen Klinik Eichberg im Rheingau.«
» Wann war das?«
» Von 1940 bis 1945.«
» Also während des Zweiten Weltkrieges«, fügte Volz hinzu.
» Ja.«
» Im von den Nazis regierten, sogenannten Dritten Reich.«
» Ja.«
» Wurden auf dem Eichberg in dieser Zeit Handlungen entsprechend der Aktion T4 durchgeführt?«
Gunthers Kiefer mahlten, doch er schwieg.
» Antworte!«, rief Volz. » Wurden in dieser Zeit, in der dein Vater Leiter der Psychiatrischen Klinik Eichberg war, Handlungen entsprechend der Aktion T4 durchgeführt?«
» Ja.«
» Was war die Aktion T4?«
» Die organisierte und systematische Ermordung von körperlich und psychisch behinderten Menschen im Dritten Reich.«
» Die man offiziell auch die Vernichtung lebensunwerten Lebens nannte«, ergänzte Volz.
» Ja.«
» Wie viele Menschen fielen dieser bestialischen Maßnahme zum Opfer?«, fragte Volz.
» Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Gunther.
» Waren es eine Handvoll? Oder ein paar Dutzend?«
» Wie ich schon sagte, die Zahlen sind mir nicht bekannt.«
» Tu nicht so! Es waren offiziell über hunderttausend Menschen, die ermordet wurden! Und das nur, weil sie behindert waren!«, rief Volz. » Oder weil sie von den Nazis und ihren Schergen als behindert oder lebensunwert eingestuft wurden. Manche sprechen sogar von über dreihunderttausend. Das sind mehr, als ganz Wiesbaden Einwohner hat!«
Er steckte den Hirschfänger weg und holte einen Zettel aus der Tasche.
» Ich habe hier eine Kopie eines auf den 1. September 1939 datierten Ermächtigungsschreibens und will es kurz vorlesen: Reichsleiter B. und Dr. med. B. sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann. Dieses Schreiben ist unterzeichnet von Adolf Hitler.«
Er steckte den Zettel wieder weg. » War dein Vater, Doktor Wilhelm Schneider, als Leiter der Psychiatrischen Klinik Eichberg einer dieser Ärzte?«
» Ja.«
» Wie viele Menschen sind allein hier auf dem Eichberg hilflose Opfer dieser Maßnahme geworden?«
» Das kann ich nicht sagen.«
» Auch das ist gelogen. Du weißt es ganz genau. Es waren weit über dreitausend!«, sagte Volz. » Fast viertausend sogar. Und mehr als doppelt so viel, wenn man all die armen Seelen mitrechnet, die vor dem Jahr 1941 von hier aus in die Gaskammern der Tötungsanstalt Hadamar verfrachtet wurden.«
» Das ist alles so lange her«, sagte Gunther Schneider.
» Ja, und Menschen wie du hätten am liebsten, dass man es vergisst! Aber man darf es nicht vergessen. Niemals!«
» Ich war damals noch ein Kind.«
» Ja, aber eines, das leben durfte«, hielt Volz zornig dagegen. » Eines, das keine Angst davor haben musste, dass irgendwer es aus Willkür heraus als geistig behindert einstufte und hierher einwies, wo es dann hingerichtet wurde. Sag, wie viele Kinder wurden hier ermordet?«
» Ich weiß es nicht!«
» Du kennst sogar die genaue Zahl, Gunther! Es waren über vierhundert! Und nicht wenige davon hat dein Vater mit eigener Hand vergiftet oder draußen vor den Mauern der Klinik erschossen!«
Inga Jäger hielt es nicht länger aus. Sie konnte durchaus nachvollziehen, dass Achim Volz wollte, dass die Welt von den grausamen Verbrechen, die auf dem Eichberg und in anderen Anstalten dieser Art begangen worden waren, erfuhr; aber Gunther Schneider dafür verantwortlich zu machen, und das auch noch vor aller Öffentlichkeit, ging eindeutig viel zu weit.
» Das waren die Taten seines Vaters«, rief sie, » nicht die seinen! Und sein Vater wurde dafür schon vor langer Zeit rechtskräftig zum Tode verurteilt!«
Volz lachte spöttisch auf. » Soso. Zum Tode verurteilt. Wurde er? Komm, Gunther, sag es ihr!«
79
Leitender Staatsanwalt Peiß betrachtete den riesigen Monitor eines der
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