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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Außenseite des Türknaufs ab.
    Die Küchenschränke und Armaturen waren seit bestimmt dreißig Jahren nicht ausgewechselt worden. Die Zündflamme des alten Herds glomm blau in dem trüben Licht; an den Kanten des Ofens war das Email abgeschlagen. Die Schränke bestanden aus dem dicken braunen Sperrholz, das in meiner Kindheit so modern gewesen war.
    Paul hatte hier gefrühstückt; die Milch in der Müsli-Schale auf dem Tisch war noch nicht geronnen. In dem Raum lagen überall alte Zeitungen und Briefe; neben der Vorratskammer hing ein Kalender von 1993. Aber es war nicht schmutzig. Paul schien einigermaßen regelmäßig abzuspülen - das war mehr, als man oft von mir behaupten konnte.
    Ich ging den Flur hinunter, vorbei an einem Eßzimmer mit einem riesigen Tisch, an dem sechzehn Personen Platz gehabt hätten. In einer Vitrine befand sich eine Porzellansammlung mit zartem blauem Blumenmuster auf cremefarbenem Grund. Es sah aus, als gäbe es genug Geschirr für sechzehn Leute und ein fünfgängiges Essen. Der Staub auf den Tellern bewies jedoch, daß in letzter Zeit kein solches Gelage stattgefunden hatte.
    Alle Räume im Erdgeschoß waren voll mit schweren geschnitzten Möbeln, staubbedeckt. Überall stapelten sich Zeitungen. Im Wohnzimmer fand ich eine Ausgabe der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 1989.
    Ein Foto an der Wand beim Kamin zeigte einen Jungen und einen Mann vor einem Cottage, dahinter einen See. Der Junge war vermutlich Paul im Alter von zehn oder elf, der Mann mußte Ulf sein. Mit breiter Brust und beginnender Glatze, ein strenges Lächeln auf den Lippen, stand er neben seinem Sohn. Paul blickte ängstlich zu seinem Vater auf, doch der starrte geradeaus in die Kamera. Wenn man das Bild so ansah, kam man nicht sofort auf die Idee, daß die beiden verwandt waren -weder das Aussehen noch die Haltung sprachen dafür.
    Ein Raum neben dem Wohnbereich hatte offenbar als Ulfs Arbeitszimmer gedient. Ursprünglich war es wohl eingerichtet gewesen wie die Bibliothek eines englischen Landhauses mit einem schweren Schreibtisch, einem Ledersessel und Regalen voller Bücher mit Einbänden aus gepunztem Leder - Gesamtausgaben der Werke von Shakespeare, Dickens, Thackeray und Trollope auf englisch sowie von Goethe und Schiller auf deutsch. Die Bücher waren wütend in dem Raum herumgeschleudert worden, Seiten zerknittert, Rücken kaputt, ein Zeugnis mutwilliger Zerstörung.
    Die gleiche Gewalt war auch beim Schreibtisch angewendet worden: Die Schubladen standen offen, Papiere waren herausgezogen und lagen auf dem Boden. Hatte Paul das getan, um seinen toten Vater zu strafen? Oder hatte jemand vor mir das Haus durchsucht? Und wonach? Wer außer mir interessierte sich für die Papiere, die Ulf mit den Einsatzgruppen in Verbindung brachten? Oder hatte Ulf noch andere Geheimnisse gehabt?
    Im Augenblick war nicht genug Zeit, um die Bücher und Papiere durchzugehen, vor allem weil ich nicht genau wußte, wonach ich suchte. Ich würde Mary Louise und die Streeter-Brüder bitten müssen, das später für mich zu erledigen, vorausgesetzt wir konnten Paul lange genug vom Haus fernhalten.
    Radbukas silberfarbenes Mountainbike stand vor dem gefliesten Eingang. Also war er nach der Attacke auf Calia und Ninshubur hierher zurückgekehrt. Vielleicht hatten ihn die Aufregungen dieses Vormittags so erschöpft, daß er nun zusammen mit dem kleinen blauen Hund im Bett lag. Ich ging eine geschnitzte Holztreppe in den ersten Stock hinauf und fing mit den Räumen am südlichen Ende des Flurs an. Der größte von ihnen, in dem ein Set schwerer Silberbürsten mit einem verschnörkelten Monogramm, ein »U« und dazu entweder ein »H« oder ein »K«, lag, hatte wohl Ulf gehört. Das Bett und der Schrank waren aus massivem Holz, möglicherweise dreihundert Jahre alt. Hatte Ulf diese ganzen schweren Möbel als Beutestücke aus Deutschland mitgebracht? Oder war ihr Erwerb für ihn ein Zeichen seines Erfolges in der Neuen Welt gewesen? Der Mief in dem Raum deutete darauf hin, daß Paul das Bettzeug in den sechs oder sieben Jahren seit dem Tod seines Vaters kein einziges Mal gewechselt hatte. Ich ging den Schrank und die Schubladen der Frisierkommode durch, um herauszufinden, ob Ulf irgend etwas in seinen Taschen oder zwischen seinen strengen Pyjamas gelassen hatte. Doch allmählich verlor ich den Mut. Ein altes Haus, in dem seit dreißig Jahren niemand mehr ausgemistet hatte... Vermutlich hätte ein ganzes Geschwader von Hausmädchen ein Jahr

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