Ihr wahrer Name
Auge.
AJAX - KENNT IHR KEINE GNADE? WARSHAWSKI - KENNST DU KEINE SCHAM?
BIRNBAUMS - KENNT IHR KEIN MITLEID?
Wo ist das Geld der Witwe? Gertrude Sommers, eine gottesfürchtige Frau, eine gläubige Kirchgängerin, eine ehrliche Steuerzahlerin, hat ihren Sohn verloren. Und dann ihren Mann. Muß sie auch noch ihre Würde verlieren? Die Ajax Insurance hat die Versicherung ihres Mannes vor zehn Jahren ausgezahlt. Als er letzte Woche starb, haben sie ihre Stardetektivin V.l. Warshawski geschickt, um Schwester Sommers zu beschuldigen, sie hätte sie gestohlen. Mitten während der Beerdigung, vor ihren Freunden und Lieben, haben sie Schande über sie gebracht. Warshawski, wir müssen alle unser Geld verdienen, aber müssen die Armen darunter leiden? Ajax, macht den Schaden wieder gut. Zahlt der Witwe das Geld aus. Entschädigt die Enkel der Sklaven. Birnbaums, gebt das Geld zurück, das ihr zusammen mit der Ajax durch die Sklaven gemacht habt. Keine Holocaust-Entschädigung, bevor die afroamerikanische Gemeinde keine Genugtuung erfahren hat. Ich spürte das Blut in meinem Kopf pochen. Jetzt begriff ich Ralphs Wut - aber warum sollte er sie an mir auslassen? Schließlich wurde nicht sein Name durch den Schmutz gezogen. Fast wäre ich aus der Reihe der Demonstranten herausgesprungen, um mich auf Alderman Durham zu stürzen, aber dann wurde mir bewußt, wie das im Fernsehen aussehen würde - das EYE-Team, das mich niederrang, während ich wüste Beschimpfungen ausstieß; der Alderman, der eher bekümmert als verärgert den Kopf schüttelte und irgend etwas Salbungsvolles in die Kamera sprach. Also marschierte ich, innerlich vor Wut kochend, mit den Demonstranten weiter, bis ich mich auf gleicher Höhe mit Durham befand. Er war ein kräftiger, breitschultriger Mann und trug ein schwarz-braunes Sakko mit Hahnentrittmuster, das maßgeschneidert und auf Rapport gearbeitet aussah. Sein Gesicht glänzte vor Aufregung hinter dem breiten Backenbart.
Da ich ihm nicht einfach einen Faustschlag versetzen konnte, faltete ich das Flugblatt, steckte es in meine Handtasche und rannte die Adams Street hinunter, um meinen Wagen zu holen, der immer noch vor Unblinking Eye stand. Mit dem Taxi wäre es schneller gegangen, aber ich mußte mich körperlich abreagieren. Als ich schließlich in der Canal Street ankam, brannten meine Fußsohlen vom Laufen in Pumps auf Straßenpflaster. Ich konnte mich glücklich schätzen, mir nicht unterwegs noch einen Knöchel verstaucht zu haben, als ich nach Luft japsend und mit trockener Kehle vor meinem Wagen stand.
Während mein Puls sich allmählich wieder beruhigte, überlegte ich, woher Bull Durham das Geld für maßgeschneiderte Kleidung hatte. Gab ihm jemand Geld dafür, daß er der Ajax und den Birnbaums - von mir ganz zu schweigen - die Hölle heiß machte? Natürlich hat ein Alderman genug Möglichkeiten, sich auf vollkommen legale Weise aus dem Staatssäckel zu bedienen. Ich war so wütend auf ihn, daß ich ihm gern das Schlimmste unterstellt hätte.
Ich brauchte ein Telefon und Wasser. Während ich mich nach einem Laden umschaute, in dem ich eine Flasche kaufen konnte, kam ich an einem Handygeschäft vorbei. Dort erwarb ich ein Ladegerät fürs Auto, denn es würde mir das Leben um etliches leichter machen, wenn ich mein Handy am Nachmittag nutzen konnte.
Bevor ich auf den Expressway bog, um meinen Klienten - Exklienten - aufzusuchen, rief ich Mary Louise über meine private Büronummer an. Natürlich war sie nicht gerade begeistert darüber, daß ich sie in dieser Situation allein gelassen hatte. Ich erklärte ihr, wie es dazu gekommen war, und las ihr dann den Text auf Bull Durhams Flugblatt vor.
»Der hat Nerven! Und was willst du jetzt unternehmen?«
»Erst mal ein Statement rausgeben. So was, Ähnliches wie:
In seinem Eifer, Gertrude Sommers' Kummer politisch auszuschlachten, hat Alderman Durham ein paar Dinge übersehen, darunter auch die Fakten. Als der Ehemann von Gertrude Sommers letzte Woche starb, hat das Dela-ney-Bestattungsinstitut sie gedemütigt, indem es die Trauerfeier in dem Moment stoppte, in dem sie ihren Platz in der Kapelle einnahm. Das geschah, weil die Versicherung ihres Mannes bereits ein paar Jahre zuvor ausgezahlt worden war. Die Familie hat daraufhin kurzfristig die Privatdetektivin VI Warshawski beschäftigt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Anders als Alderman Durham behauptet, hat nicht die Ajax Insurance Warshawski angeheuert. Warshawski war nicht bei der
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