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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ist vielleicht das Resultat … sagen wir … der Nostalgie einer alten Frau.« Als sie sah, dass Harman sie gespannt anschaute, fügte sie hinzu: »Ich war gerade auf einer Art Forschungsurlaub in einem solchen Eisberg, als das letzte Fax stattfand – ohne mich. Seitdem sind vierzehn der euch zugeteilten Lebensspannen vergangen.«
    »Ich dachte, beim letzten Fax wären alle gespeichert worden«, sagte Ada. Sie wischte sich die Finger an einer schönen braunen Leinenserviette ab. »All die Millionen Altmenschen.«
    Savi schüttelte den Kopf. »Keine Millionen, meine Liebe. Es gab nicht viel mehr als neuntausend von uns, als die NMs ihr letztes Fax durchgeführt haben. Soweit ich weiß, ist keiner dieser Menschen – und viele von ihnen waren meine Freunde – nach dem Hiatus rekonstruiert worden. Wir Überlebenden der Pandemie sind allesamt Juden gewesen, müsst ihr wissen, weil wir gegen das Rubikon-Virus immun waren.«
    »Was sind Juden?«, fragte Hannah. »Oder was waren Juden?«
    »In erster Linie ein theoretisches Rassenkonstrukt«, sagte Savi. »Eine nicht übermäßig deutlich ausgeprägte genetische Gruppe, entstanden durch mehrtausendjährige kulturelle und religiöse Isolation.« Sie hielt inne und sah ihre vier Gäste an. Nur Harmans Miene ließ darauf schließen, dass er eine leise Ahnung hatte, wovon sie redete.
    »Eigentlich ist es nicht so wichtig«, sagte Savi leise. »Aber aus diesem Grund bezeichnet man mich als ›die Ewige Jüdin‹, Harman. Ich bin ein Mythos geworden. Eine Legende. Der Ausdruck ›Ewige Jüdin‹ hat seinen Bedeutungsverlust überlebt.« Sie lächelte erneut, diesmal aber eher freudlos.
    »Wie kommt es, dass du das letzte Fax verpasst hast?«, fragte Harman. »Weshalb haben die Nachmenschen dich zurückgelassen?«
    »Ich weiß es nicht. Über diese Frage habe ich jahrhundertelang nachgegrübelt. Vielleicht, damit ich als … Zeugin dienen konnte.«
    »Als Zeugin?«, fragte Ada. »Wofür?«
    »In den Jahrhunderten vor und nach dem letzten Fax hat es so viele seltsame Veränderungen im Himmel und auf Erden gegeben, meine Liebe. Vielleicht waren die NMs der Ansicht, dass irgendjemand – und sei es auch nur ein Altmensch – Zeugnis über all diese Veränderungen ablegen sollte.«
    »Viele Veränderungen?«, sagte Hannah. »Das verstehe ich nicht.«
    »Nein, meine Liebe, wie auch. Ihr, eure Eltern und die Eltern der Eltern eurer Eltern kanntet und kennt eine Welt, in der sich überhaupt nichts zu verändern scheint, abgesehen von einzelnen Menschen – und auch die nur langsam und stetig, über ein ganzes Jahrhundert hinweg. Nein, die Veränderungen, von denen ich spreche, waren natürlich nicht alle sichtbar. Aber dies ist nicht die Erde, die die ursprünglichen Alten oder die ersten Nachmenschen einst kannten.«
    »Worin besteht der Unterschied?« Daemans Ton verriet allen, wie wenig er mit einer interessanten Antwort auf seine Frage rechnete.
    Savi richtete ihre klaren graublauen Augen auf ihn. »Zum Beispiel darin – es ist freilich nur eine Kleinigkeit, jedenfalls im Vergleich zu allem anderen, aber für mich trotzdem wichtig –, dass es keine anderen Juden mehr gibt.«
     
    Sie zeigte ihnen den Weg zu privaten Toilettenbereichen und riet ihnen, die Thermohäute für die bevorstehende Reise auszuziehen.
    »Werden wir sie nicht brauchen?«, fragte Daeman.
    »Auf dem Weg zum Sonie wird es ein bisschen kalt sein«, sagte Savi. »Aber das ist auszuhalten. Und danach braucht ihr sie nicht mehr.«
    Nachdem Ada aus ihrer Thermohaut geschlüpft war, nahm sie im Hauptraum auf dem Sofa Platz, schaute auf die Eiswände und dachte über all dies nach, als Savi aus einem anderen Nebenraum kam. Die ältere Frau trug eine dickere Hose als zuvor, festere und höhere Stiefel, einen gefütterten Umhang und eine tief in die Stirn gezogene Mütze. Die Haare hatte sie zu einem grauen Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihr Gepäck war ein ausgeblichener Khaki-Rucksack, der schwer zu sein schien. Ada hatte noch nie eine Frau in solchen Kleidern gesehen. Der Stil der alten Frau faszinierte sie. Ihr wurde klar, dass sie überhaupt von Savi fasziniert war.
    Harman war offenbar ebenfalls fasziniert, aber von der Waffe, die nach wie vor aus Savis Gürtel lugte. »Spielst du noch immer mit dem Gedanken, einen von uns zu erschießen?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Savi. »Momentan jedenfalls nicht. Aber es gibt andere Dinge, auf die man vielleicht hin und wieder einmal schießen muss.«
    Auf dem Weg aus dem

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