Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
tiefst abstoßend empfand.
Dann endete Nevantios Litanei auf einen Schlag. Er klappte das kleine schwarze Lederbuch zu, um es in einem weiten Bogen mitten in den Wald von Yspiria hineinzuwerfen.
„Was soll denn das!“, zischte Tahut. „Seid Ihr wahnsinnig? Das Ding brauchen wird doch noch. Damit hat man Macht über diese Burschen!“
„Ich weiß, aber es gehört als Teil zur Zeremonie“, hauchte Nevantio.
„Was wird jetzt geschehen?“, drängte Tahut zu wissen.
„Ich habe keine Ahnung. So etwas habe ich auch noch nie gemacht.“
Zunächst geschah gar nichts, außer dass die Sturmweide, in die vorhin der Blitz eingeschlagen hatte, knisternd zu brennen begann. Die beiden Männer blickten erschüttert in das immer heller werdende Flammenspektakel. Das Knistern des brennenden Holzes wurde so laut, dass sie das viel leisere Rascheln von Schritten beinahe überhört hätten.
Dann tauchte urplötzlich eine Prozession zwischen den Bäumen auf. Tahut rang entsetzt nach Luft, als er die hochgewachsenen Männer in den zerschlissenen Mänteln wiedererkannte.
Erst heute Nachmittag hatte er von ihnen geträumt, und nun kamen sie in einer langen Viererreihe auf ihn zugeschritten. Ihre Häupter waren unbedeckt, und ihre silbrigen Augen leuchteten gespenstisch im Licht der Blitze.
Nevantio begann an des Königs Seite zu zittern. Überall wäre er jetzt lieber gewesen, als hier bei Nacht im Wald.
„Heilige Mutter Gottes“, murmelte der Drachenfürst. „Sie sind es tatsächlich. Ich habe es geschafft ...!“
Als die Prozession grauer Männer herangekommen war, versuchte Tahut Haltung anzunehmen und streifte sich die Kapuze aus dem Gesicht. Die Hünen begannen einen weiten Kreis um die beiden Männer zu ziehen. Immer mehr von ihnen traten auf die Lichtung, bis sie kaum noch eine Armeslänge von Tahut und Nevantio entfernt waren.
Dann teilte sich die Menge noch einmal, und vier weitere Männer kamen aus dem Waldesinneren auf die Lichtung.
Der König hielt die Luft an und krallte die Finger seiner rechten Hand in Nevantios Oberarm. Aber der bemerkte den Schmerz nur am Rande, denn auch sein Blick war wie gebannt auf die vier Männer gerichtet.
Sie waren etwas kleiner als der Rest, dafür aufwendiger gekleidet, obwohl auch ihre Mäntel und die darunter befindlichen Tuniken aus stumpfem, grauem Stoff bestanden. Das Schlimme an ihnen war der Umstand, dass sie keine Gesichter besaßen. Da waren weder Augen noch Nasen und auch keine Münder.
„Die vier Gesichtslosen ...“, stammelte Nevantio.
„Wer sind denn die?“, raunte der König.
„Das wollt Ihr nicht wissen“, entgegnete von Romec. „Ich dachte, es wäre nur ein Name, dass sie tatsächlich keine Gesichter haben, habe ich nicht gewusst.“
Die schauerliche Abordnung blieb genau vor dem magischen Kreis aus Elfenholzpulver stehen. Einer der vier Gesichtslosen hob die Hand und reichte Tahut das schwarze Drachenbuch.
Der König nahm es mit zitternden Fingern entgegen und steckte es rasch unter den Mantel.
Der seltsame Spuk setzte sich fort. Ein anderer Gesichtsloser zog eine kleine Schiefertafel und ein Stück Kreide unter seinem Mantel hervor und begann mit lautem Quietschen darauf zu schreiben. Dann drehte er die Tafel um, damit Tahut und Nevantio die Schrift lesen konnten.
„Was befiehlt der Herr?“, las von Romec mit kaum hörbarer Stimme vor.
Der Gesichtslose verwischte die Schrift mit dem Ärmel und reichte die Tafel und die Kreide an den König weiter.
Vor lauter Schreck fiel Tahut auf die Schnelle nicht ein, was er antworten könnte. Schließlich kritzelte er „Jagt und tötet mir die Ashjafal. Und bringt meine Kinder zurück!“ auf das Schiefer. Er zeigte die Tafel den Gesichtslosen, die sie entgegennahmen. Dann drehten sich die Grauen Hexer nicht etwa um, um auf ihren neuen Kriegspfad zu ziehen ... nein, sie verschwanden einfach mit dem nächsten Blitz- und Donnerschlag.
Sowohl Tahut als auch von Romec zitterten am ganzen Körper, als sie auf einmal wieder ganz alleine auf der Lichtung standen. Selbst die brennende Sturmweide war nun erloschen.
*
Als König Tahut in dieser unseligen Nacht über den dunklen Korridor zu seinem Gemach schlich, sah er auf einmal Nyasintas bleiche Gestalt in einer der finsteren Nischen stehen.
Ihr Gesicht war so schön wie es zu Lebzeiten gewesen war, aber
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