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Im Bann der Dämonin

Im Bann der Dämonin

Titel: Im Bann der Dämonin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Chong
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wie neulich nachts. Kein leises Gemurmel der Huren und ihrer Freier. Nicht einmal ein Flüstern.
    „Wie merkwürdig ruhig es hier ist!“ Luciana schüttelte irritiert den Kopf.
    Zu ruhig.
    Auf dem obersten Treppenabsatz angekommen, blieb sie so abrupt stehen, dass Massimo fast in sie gelaufen wäre.
    Überall auf dem Flur lag Zeug herum, offensichtlich die Überreste einer wilden Party. Leere Flaschen, Glasscherben, die sich in den Teppich gedrückt hatten. Umgeworfene Tische, zerbrochene Stühle. Überall lagen Kleidungsstücke, sogar über der Brüstung hing Wäsche. Die Kronleuchter waren zerbrochen,ihre gläsernen Prismen bedeckten den Fußboden wie die Überreste einer geplünderten Schatztruhe.
    Aber zu sehen war niemand.
    Niemand. Nicht einmal ein einzelnes Haar von einem der Mädchen.
    Kein Geist hing herum, keine Seele war mehr hier.
    „Vielleicht ist oben jemand.“ Das alles war so merkwürdig, dass Luciana sich an diese vage Hoffnung klammerte, während sie die Stufen erklomm. In Carlottas Büro angekommen, musste sie über noch mehr Flaschen, umgestürzte Möbel und halb volle Tabletts mit den Resten erlesener Speisen steigen, die auf dem Boden lagen.
    In der Mitte des Teppichs war ein großer roter Fleck.
    Darüber lag ein zerrissenes Seidenkleid, rot von Blut.
    In den Falten des Kleidungsstücks lag ein einzelner Smaragdohrring, eine hellgrüne Träne, ebenfalls blutbeschmiert.
    Luciana fischte ein Taschentuch aus ihrer Tasche. Sie bückte sich und hob den Ohrring auf, dann wickelte sie ihn sorgsam in ihr Taschentuch ein. Sie hielt ihn fest in der Hand, als könnte sie Carlotta aus dem harten Edelstein herauspressen.
    Eine Träne rann ihr über die Wange.
    „Ich wollte die Ohrringe zurückhaben. Aber doch nicht so.“
    So widerlich und falsch Carlotta gewesen war – das hatte sie nicht verdient.
    Luciana fiel auf die Knie. Ihr war schlecht, sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
    „Lassen Sie uns verschwinden“, ermahnte Massimo Luciana und zog sie am Arm hoch. „Wir können es nicht riskieren, auch denjenigen zum Opfer zu fallen, die das ganze Etablissement vernichtet haben.“ Auch wenn sein Name unausgesprochen blieb: Sie beide wussten eins ganz sicher, nämlich, dass hier Corbin Ranulfson am Werk gewesen war.
    Luciana zitterte am ganzen Leib, als sie den Ohrring in die Tasche steckte. Massimo hatte recht. Sie durfte nicht längerhierbleiben und trauern. „Ich werde das Einzige, was von ihr übrig ist, bestatten. Und ihrer gedenken, wie es sich gehört.“
    Sie warteten bis nach Sonnenuntergang, um sich im Schutz der Dunkelheit zu bewegen. Spritzer von Salzwasser benetzten Lucianas Gesicht, als Massimo sie mit dem Boot wieder zu den vorgelagerten Inseln brachte.
    Doch diesmal war ihr Ziel nicht Sant’Ariano, sondern der Ort, an dem die Venezianer auch heute noch ihre Toten begruben. Wo sie seit Napoleons Zeiten die Leichen bestatteten, nachdem dieser ihre traditionelle Praxis, die Toten in der Stadt zu begraben, als unhygienisch erachtet hatte.
    Sie fuhren zur Insel San Michele.
    Der nach dem Erzengel Michael benannte cimitero hatte noch nicht existiert, als Lucianas Familie gestorben war. Nicht beim ersten Mal zumindest. Fünfzig Jahre nach ihrem Tod hatte Luciana hier ein Grundstück erworben und ihren verstorbenen Angehörigen ein Grabmal errichtet. Mit ihrer persönlichen Botschaft an Gott.
    Nichts ist heilig.
    „Die ewige Ruhe ist ein Mythos“, sagte sie nun zu Massimo, als er das Boot beim Eingang zum ummauerten Friedhof festmachte. „Und jeder, der daran glaubt, ist ein Idiot.“
    Nachts lag der Friedhof still und leise da. Die stattlichen Zypressen schienen über die Ruhe der Toten zu wachen. Luciana passierte Grabsteine, eine Reihe von weißen Kreuzen und eine Grabwand. Bei den Grabdenkmälern hielt sie inne, einen Moment lang überwältigt von vielen Blumen, die die Gräber schmückten, von dem Duft der verblühenden Blütenblätter und dem feuchten Geruch von Laub, das in der Hitze des Sommers verdorrte.
    Beinahe wäre sie ohnmächtig geworden. Sie strauchelte und wäre fast gestürzt, doch es gelang ihr, sich an einem Grabstein aus kühlem Marmor festzuhalten. Ihre Finger umklammerten den weichen Stein. Sie riss sich zusammen und lief weiter.
    Massimo folgte ihr jetzt dichtauf, um bei ihr zu sein, wenn es nötig war.
    Dann endlich erreichte sie die Stelle, zu der sie wollte.
    Vom Mondlicht beschienen stand er da, der Block aus altem weißem Marmor, mit der

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