Im Bann der Engel
Porzellanschale und weichte Tücher aus dünnem Stoff ein. Das restliche Wasser verwendete sie, um eine Suppe aufzusetzen. Ein paar Rüben, Bohnen sowie getrocknete Kräuter hatte sie noch. Alles andere, hoffte sie, würde David mitbringen.
Sie wusch Amenatos‘ Verletzung aus und legte ihm einen sauberen Verband an. Dann räumte sie ihre verwüstete Wohnung auf. Sie schichtete das Kleinholz, das einmal ihre Möbel gewesen waren, neben dem Ofen auf und begann, ihre Kleidungsstücke durchzusehen.
Nach etwa zwei Stunden kehrte David zurück.
»Es tut mir leid. Aber anscheinend herrscht in dieser Stadt Nahrungsmittelmangel. Die Läden sind so gut wie leer und es ist mir gerade so gelungen, ein paar Eier und etwas Gemüse zu ergattern. Fleisch gab es in ganz Cravesbury keines.«
Erschöpft packte er seine Einkäufe aus.
Elena runzelte die Stirn. Wieso gab es nichts mehr zu kaufen? Die Geschäftsbeziehungen zu den anderen Städten waren immer gut gewesen. Sie beäugte die Kartoffeln, die man normalerweise den Schweinen vorgesetzt hätte und seufzte.
»Die Straßen werden peinlich genau bewacht. Ich bin bis an den Stadtrand gelaufen, auf der Suche nach einem Laden. Da stehen überall schwer bewaffnete Söldner vor einer Barrikade. Zwei große Dampfmobile haben unvermittelt wieder kehrtmachen müssen. Sie wurden nicht in die Stadt gelassen. Ach ja, und Züge fahren auch keine mehr. Das erzählte mir ein altes Fräulein, das ihre Nichte in Middletree besuchen wollte. Sie sitzt schon seit Stunden auf dem leeren Bahnsteig und wartet auf den Zug.«
»Ich wette, das hat Madame Hazard zu verantworten. Was plant diese Hexe? Will sie alle ins Verderben stürzen? Was nützt ihr ein Hofstaat ohne Staat? Ihr Verhalten bringt die Leute erst recht gegen sie auf.«
»Es ist ihr vermutlich egal, was die Leute von ihr denken. Sie zeigt jetzt ihr wahres Gesicht. Die Fabrik ist offenbar noch in Betrieb. Der Schornstein ist der einzige, aus dem noch Rauch kommt.«
»Ich hoffe, Amenatos kann uns mehr erzählen.«
»Wo ist er dann?«, fragte Sophia und funkelte den Lakaien zornig an, der ihr die Mitteilung überbracht hatte, dass Amenatos die Villa verlassen hatte. Der Bursche verneigte sich und sagte hoheitsvoll: »Das entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Hör zu, du Wurm. Ich möchte ab sofort wissen, wer sich im Haus aufhält und wer es wann und aus welchem Grund verlässt. Du bist dafür verantwortlich.«
»Ich habe kein Recht, die…«
»Hiermit erteile ich es dir. Ich bin von Madame Hazard persönlich befugt worden, dieses Haus zu verwalten. Und ich möchte sie nicht noch einmal enttäuschen. Deine nächste Aufgabe wird sein, herauszufinden, wo sich Amenatos aufhält. Du darfst dich entfernen.«
Als sich die Tür hinter dem Lakaien geschlossen hatte, fragte sich Sophia, wie verwirrt sie gewesen sein musste, es mit diesem unreifen Kerl getrieben zu haben. Nicht, dass er besonders gut gewesen war.
Erneut wurde die Tür geöffnet. »Was ist denn noch?«, rief Sophia wütend.
»Ich dachte, du freust dich vielleicht, mich zu sehen?«
»Marcellus!«
Sie umarmte und küsste ihn. Wie gut er sich anfühlte. So anders als die primitiven ungepflegten Menschen, mit denen sie sich notgedrungen hatte umgeben müssen.
»Ich habe dich vermisst«, sagte sie voller Inbrunst.
»Sophia, ich bitte dich, keine Dummheiten mehr zu begehen. Madame Hazard erzählte mir, was geschehen ist.«
Sophia verzog trotzig die Lippen. »Hat sie nichts anderes zu tun als zu petzen?«
Marcellus strich ihr über die Wange. »Es war ihr wohl wichtig, dass ich Bescheid weiß.«
»Lass uns etwas trinken und dann habe ich schon eine Idee, wie wir deine Rückkehr angemessen feiern können.«
Kapitel 18
In der Auslage der Bäckerei herrschte gähnende Leere. Steven stützte schwer das Kinn in die Hand und verfluchte den Tag, an dem er sich für den neumodischen Backautomaten entschieden hatte. Warum war er nur so dumm gewesen, seinen Ofen für dieses nutzlose Stück Technik herzugeben?
Er löschte die Petroleumlampe im Verkaufsraum und ging ins Hinterzimmer. Kunden kamen ohnehin keine mehr. Nach dem Andrang der letzten Tage, in dessen Zuge er im wahrsten Sinne des Wortes jeden Krümel verkauft hatte, war nun Schluss. Die Leute griffen auf eingelagerte Nahrungsmittel zurück. Einweckgläser wurden auf dem Schwarzmarkt, der sich vor der Ruine der Stadthalle etabliert hatte, mit Gold aufgewogen.
Schon machten sich erste Anzeichen einer beginnenden Revolte
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